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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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gebe es die alten gelben Busse ja, nächstes Jahr vielleicht schon
nicht mehr. Sie dreht es immer so hin, daß alles gut ist, wie es ist. Als müsse
man auf die Knie fallen vor Dankbarkeit. Jetzt, weit nach Mitternacht, sind die
drei immer noch nicht zurück. Greta und Ralf werden zur Arbeit gegangen sein,
also was macht Kati da draußen alleine?
    Ich sehe mir eine DVD an, Man on Wire , über einen Typen, dessen Lebensziel es war,
zwischen den Twin Towers ein Seil zu spannen, heimlich, heimlich, und darauf
spazieren zu gehen. Auf was für Ideen Leute kommen. Irgendwie hat ers auch noch
geschafft, bevor die Flugzeuge in die Wolkenkratzer krachten. Das ärgert mich.
Obwohl die Story beeindrucken müßte, macht sie mich neidisch. Ich bin so elend,
so hundeeinsam, jetzt höre ich einen Schlüssel, der sich im Schloß dreht, wie
ein Messer in einem verhaßten Bauch, wie ein Flugzeug in einem Wolkenkratzer.
Kati beugt sich über mich, streichelt meine Stirn, ich sage: Danke, Schatz.
Nein, ich höre, wie etwas in mir das sagt. Ich selbst würde was ganz anderes
sagen. Ich hab mich so gut amüsiert, du hättest, sagt Kati, mitkommen müssen.
Immer Vorwürfe. Immer mir vor Augen halten, daß ich nicht wie die anderen
funktioniere. Aber dank der Medikamente weiß ich, daß ich nicht wie die anderen
funktioniere, diese Tabletten demotivieren mich wirklich, ich sollte sie nicht
mehr nehmen. Nur Kati zuliebe – und es macht ja Sinn, Kati soll mich liebhaben,
ich habe ein wenig Zuwendung verdient vor dem Tod. Morgen stürz ich mich vom
Felsen, in die spritzende Gischt. Das ist eine gute Idee. Und nur, weil es Kati
gibt, denk ich endlos dran herum. Sie ist der Klotz an meinem Bein. Mein Engel.
Mein Alles, was ich noch habe. Sie klebt wie Scheiße an meinem Schuh, sie wacht
über mich, ich liebe sie. So viel tut mir leid. Es ist unerlaubt in meinem
Kopf. Jetzt schläft sie. Mondschein fällt durchs Fenster, und ich schnüffel rum
in ihrem Haar. Das natürlich eine Maske ist, eine Tarnung. Klar. Ich säh ihr
gern von Ohr zu Ohr. Morgen oder übermorgen, hat sie noch gesagt, besuchen wir
eine Kirche, die schönste Kirche der Welt. Das bist du doch selbst, hat was in
mir gesagt – und Kati lächelte mich an, sie zeigte ihre weißen Zähne, von einem
Hai kaum mehr zu unterscheiden. Gott, sie ist so schön, wie kann sich jemand an
ihrer Seite unwohl fühlen? Deplatziert? Sie krampfhaft zu vergöttern, ist der
falsche Weg. Ich liege wach neben ihr, die ganze Nacht. Um halb sieben Uhr
morgens kommen Greta, die Blonde, und Ralf, der Dünne, von ihrer Schicht
zurück, kochen Kaffee, ach wär das schön, wenn der Kaffee da wär, die beiden
aber nicht, ich würde laufen und im Laufen heißen Kaffee in meine Mundhöhle
füllen, wie irgendein Neandertaler.
    8. Januar
    Der Aufenthalt auf
der Insel hat Serge vom ersten Tag an gutgetan. Er ist ganz ruhig und
freundlich, sagt nicht viel, starrt in die Sonne. Verhält sich auch zu unseren
Gastgebern höflich. Gerne steht er am Meer und betrachtet die Gischt.
    Mitten zwischen den Altbauten
gibt es Häuschen, aus riesigen unverputzten Ytong-Blöcken gebaut. Das müßte
häßlich aussehen, tut es aber nicht, die Gebäude wirken wie eine Mischung aus
Atombunker und Burg, strahlen Stolz und Heimeligkeit aus.
    Tun sie das? fragte Serge. Ihm
kam es so vor, als seien Stolz und Heimeligkeit nicht die naheliegendsten
Begriffe bei derlei Gebilden. Ich kann mich nicht sattsehen an den schmalen
bunten Holzbalkonen, eigentlich eher Wintergärten aus Holz, die wie
Schwalbennester an die Hausmauern angeklebt wirken.
    Die ganze Stadt, bis auf
Werbeflächen, ebenjene Balkone und ein paar ganz neue Gebäude, strahlt bei
Sonnenlicht ein beruhigend monochromes Sandsteinbraun aus, das nur an manchen
Stellen ins Morbide übergeht, genau dort, wo die Architektur monströse, ja
phantastische Züge annimmt, als sei sie Piranesis Carceri-Zeichnungen
entliehen. Es gibt riesige Häuser, ja Paläste, in deren Mitte ein Nichts gähnt.
Über diesem Nichts finden aber steinerne Brücken Zugang zu anderen Häusern und
Palästen, während viele Meter über diesen Brücken ganze Stockwerke noch bewohnt
scheinen (vor ihre Fenster war zu trocknende Wäsche gespannt), obwohl sie über
einem Abgrund hängen und nach meinem Empfinden längst hinabgestürzt sein
müßten.
    Abends sehen wir DVD s, und als Serge einmal die Tagesschau gucken wollte, riet ich ihm davon
ab. Wozu Bilder aus Deutschland hierherholen? Erst war er etwas mürrisch,

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