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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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sein, ich hatte das Gefühl, sie wollte mir nicht alles sagen.
Serge und ich gingen zu Bett, und ich teilte ihm meinen Eindruck mit. Er sagte,
na klar, was Greta mir nicht habe sagen wollen, habe sicher damit zu tun, daß
man Überweisungen per Kreditkarte rückgängig machen könne, während das
überwiesene Geld längst verzockt sei, und es wäre für solche Firmen ein viel zu
großer Aufwand, in jedem Fall vor Gericht zu gehen. Aha. Er moserte dann noch
eine Weile herum über Menschen, die ihre Zeit auf Erden mit solchem Tand
verschwenden. Es klang sehr arrogant, beinah ein wenig neidisch und gegenüber
großzügigen Gastgebern unpassend. Wir hatten den ganzen Abend über guten Shiraz
auf deren Kosten getrunken. Als ich ihm das sagte und hinzufügte, daß wir uns
morgen revanchieren müßten, drehte er mir den Rücken zu und tat, als würde er
schlafen. Ich möchte lieber nicht wissen, was in ihm vorgeht. Dachte ich. Und
wüßte es jetzt doch ganz gern. Sein Schnarchen jetzt scheint aber echt. Sonst
wärs eine Gemeinheit.
    13. Januar
    Das Licht ging an,
und ich erwachte prompt. Mein erster Blick galt dem digitalen Wecker, es war
kurz vor vier. In unserem Zimmer standen zwei Männer mit Skimasken, einer von
beiden schwang einen Baseballschläger über unseren Köpfen. Ich nahm das für
einen Traum, nicht ernst. Erst als Kati schrie und sich an mich klammerte,
dachte ich um. Einer der Männer trat mir mit seinem Stiefel ins Gesicht. Das
war real. Ich hatte keine Ahnung, wer die Männer waren, warum sie uns
bedrohten. Und es mag sich unglaubwürdig anhören, aber daß Kati mich so fest
umklammert hielt, tat gut, es gab keine Zeit, nachzudenken, irgendwie schien es
möglich, daß wir zwei in der nächsten Minute sterben würden, gemeinsam – und
von diesem Gedanken ging etwas sehr Tröstliches aus. Einer der Männer sagte
etwas, auf Englisch, ich verstand nur zwei Wörter: LAST WARNING! Der andere Mann, der nichts sagte, kniete sich auf die
Matratze, streckte seine Hand aus und kniff Kati in die Backe, dann schlug er
ihr seine Faust in den Bauch. Mit voller Wucht. Das durfte er nicht tun. Ich
schmiß mich auf ihn, erstaunlich, wie wenig Angst ich hatte, nur diesen einen
naiven Gedanken: So was darf der nicht tun, nein. Ich spürte einen Hieb auf den
Hinterkopf, doch keinen Schmerz, nur das Gefühl, außer Gefecht gesetzt zu
werden, was mich mit enormer Wut erfüllte. Ohnmächtiger Wut. Ich lag herum,
Blut floß mir am Hals herab, aber ich verlor mein Bewußtsein nicht. Dann kam
der Schmerz, und wie. Ich weinte und schämte mich meiner Tränen. Kati legte
sich über mich, bohrte ihren Kopf in meine Brust und schrie die ganze Zeit. Und
plötzlich war es dunkel im Zimmer, und, als Kati nicht mehr schrie, ganz still.
Ich wartete ein paar Minuten, dann schob ich Kati von mir, lief durch die ganze
Wohnung, machte in allen Räumen Licht. Die Männer waren weg – und wir lebten.
Im Bad sah ich mich im Spiegel an, schüttete Whisky auf die Wunde, rannte zu
Kati, küßte sie, die Wimmernde, mit dem Gefühl, ihr nie mehr so nahe zu sein
wie jetzt, in diesem Moment. Ich zögere, das niederzuschreiben, aber die
Sekunden nach dem Überfall waren gut. Voller Ehrfurcht vor dem Leben – und
Dankbarkeit. Wir haben alle Türen der Wohnung versperrt und Whisky getrunken.
Der Gedanke, die Polizei zu rufen, kam uns spät. Wir verwarfen ihn als nutzlos.
Gegen sieben Uhr morgens trafen Greta und Ralf ein, wir erzählten, was vorgefallen
war. Sie hörten zu, und während wir über das Vorgefallene schon Witze machen
konnten, sahen sie erschüttert drein. Ganz fassungslos und bleich. Es tue
ihnen, sagten sie, so leid. Sie waren aber übermüdet und betrunken, ihre Leiber
verlangten nach Schlaf, und nur das Entsetzen hielt sie notdürftig wach.
    Wir, die wir an Schlaf nicht
denken konnten, gingen zum Meer, als wollten wir uns in der Brandung reinigen.
Kati zog die Schuhe aus, überließ ihre nackten Füße der Gischt. Kati hat so
schöne Füße. Aber in spätestens fünfzig, sechzig Jahren wird sie tot sein, und
niemand wird sich ihrer Füße erinnern. Das ist so.
    *
    Als wir eine Stunde
später in die Wohnung zurückkehrten, waren Greta und Ralf noch wach. Hatten
wohl Pillen eingeschmissen und starken Kaffee getrunken, sie entschuldigten
sich für den Horror, den wir hatten durchmachen müssen. Sie würden das
klarstellen, sagten sie, ohne auch nur in einem Nebensatz das Wort Verwechslung zu benutzen. Dann, während ich nach zwei

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