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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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war noch ein wenig von der viktorianischen Grandezza zu spüren, die
Greta erwähnt hat.
    In der Bar gab es eine
schmale, ringsum verkleidete Wendeltreppe aus Mahagoni, mitten im Raum, die
irgendwohin führte, man konnte nicht erkennen, wohin, vielleicht nirgendwohin.
Mysteriös.
    In dem Moment wünschte ich
mir, ich dürfte rauchen. Ich habe mal geraucht, als Teenager, habs mir dann
abgewöhnt, als ich beschloß, Sängerin zu werden. Und seltsamerweise bot mir,
gerade als ich drüber nachdachte, der Mensch neben mir eine Zigarette an, als
hätte er meine Gedanken lesen können. Es war ein Malteser, um die fünfzig,
braun gebrannt und kräftig, in Jeans und rotem T-Shirt, er trug braune Slipper
dazu, was nicht paßte, aber er grinste ständig ohne Grund. Wir gingen drei
Schritte weit auf die Terrasse, rauchten (ich paffte mehr) und unterhielten uns
ein wenig auf Englisch. Er wollte wissen, ob ich Touristin bin oder auf
Geschäftsreise, und ich weiß nicht, was mich trieb, zu sagen, daß ich nur halbe
Touristin sei, daß ich vielmehr jemanden betreuen müsse, der aus
Gesundheitsgründen ein paar Wochen hier verbringt. Dann sind Sie eine
Krankenschwester – So you are a nurse? Hat er gefragt. Und ich, No he is my
friend and a little bit crazy. Dann er: Crazy or not, he must be a lucky guy.
Das ging über die Unverbindlichkeit ein wenig hinaus, und ich war froh, daß
Greta und Ralf vorbeikamen. Sie hatten drei Stunden gezockt und zusammen
hundertfünfzig Euro erwirtschaftet. Immerhin. Sie aber sprachen von einem
schlechten Lauf und müßten nun zur Arbeit, ob ich mich amüsiert hätte? Jaja,
sagte ich. Und der Typ am Bartresen hob sein Glas und nickte mir zu, irgendwie
verschwörerisch, verrucht. Ich nickte kurz zurück und ging mit Greta und Ralf,
wir nahmen ein Taxi, das mich bei ihrer Wohnung absetzte. Es war grad
Mitternacht, ich wollte noch nicht heim. Die beiden Cocktails, die ich
getrunken, die beiden Zigaretten, die ich geraucht hatte, machten mich
gefühlvoll und elastisch. Vollmond war auch. Es wehte ein kühler Wind und ich
war zu leicht bekleidet, dennoch ging ich bis zum Meer und sah dem Toben der
Wellen zu. Immer, wenn ich aufs Meer sehe, denke ich, wie fantastisch es ist,
am Leben zu sein, jetzt, in dieser ungefährlichen Zeit, ausgerechnet als Mensch
auf die Welt gekommen zu sein, in Mitteleuropa, wenn man gesund ist und noch
relativ jung und ein wenig intelligent, nicht völlig mittellos. So viel Zufall
muß gefeiert werden. Ich war froh, keine Zigaretten bei mir zu tragen, ich
hätte mir das Rauchen sonst angewöhnt. Wir verbrennen alle im großen Feuer, die
einen leuchten, die anderen stinken, sagt Serge immer, und ich fand es
plötzlich so folgerichtig, so überzeugend, selbst etwas in der Hand zu haben,
das verbrennt, mit jedem Atemzug ein wenig mehr, ich fand mich plötzlich
betrunken und fror. Lief den halben Kilometer zu Gretas Wohnung im Dauerlauf.
Drinnen wars dunkel, aber Serge schlief nicht, er saß auf der Matratze, eine
Hand unterm Kinn, wie der Denker von Rodin. Ich streichelte seine Stirn, er
sagte: Danke, Schatz. Das streichelte mein Herz. Ich hab mich so gut amüsiert,
du hättest mitkommen müssen, flüsterte ich in sein Ohr. Er brummelt was,
vergräbt den Kopf im Kissen. Morgen besuchen wir eine Kirche, die schönste
Kirche der Welt. Ich hatte solche Lust zu reden, schöne Dinge vorherzusagen.
Das bist du doch selbst, sagt da Serge. Die schönste Kirche der Welt. Ein Mann,
der so etwas zu einem sagt, verdient die Liebe. Schnell und überaus glücklich
schlief ich ein.
    9. Januar
    Heute waren wir in
der St. Johns Cathedral und sahen uns das einzige Gemälde an, das Caravaggio je
signiert hat, die Enthauptung des
heiligen Johannes . Kati
kriegte sich kaum mehr ein, so schön fand sie die Kirche mit ihren vielen
Kreuzgewölben und den sehr bunten, allzu bunten, beinah Comic-haften Gräbern,
Marmormosaiken, die nebeneinander den Boden pflastern. Lückenlos. Dauernd tritt
man auf wen, der unbedingt posthum auf sich hinweisen wollte. Der nicht
versöhnt zu gehen gedachte und still. Der Farbrausch ist, verbunden mit dem
Thema Tod, ungewohnt, von daher rührt wohl die Faszination des Gebäudes. Kati
fand es toll, sie tänzelte über den Leichen, ganz so, als würde sie selbst nie
zu einer werden. Vielleicht mögen es die Toten, wenn schöne Frauen auf ihnen
tanzen. Wahrscheinlich ist es ihnen egal, weil ihnen das Hören und Sehen vergangen
ist, ein für allemal. Kati sagte was von, wie

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