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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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meinem Spielfeld verschwindet.
    – Im Bett war sie ja gut, hast
du gesagt.
    – Das ist wieder alles, was
dich interessiert. Ich muß jetzt zur Arbeit. Fünf nackte Frauen fotografieren,
das würde dir gefallen, nicht? Hier liegt immer noch Schnee, es ist eisig, und
immer mehr Berliner machen Witze über die Theorie der Erderwärmung. Dafür hasse
ich diesen Winter noch mehr. Habs gut. Küss die Kids von mir. Ist Becky schon
zu groß, um noch geküßt zu werden?
    – Ich fürchte, bald wird sie
groß genug sein, um anders geküßt zu werden. Das geht so verdammt schnell.
    – Sie ist doch erst elf?
    – Und wird bereits umschwärmt
von den Jungs. Die sind heut mit elf wie wir damals mit vierzehn.
    – Übrigens: Unserer Ma hab ich
zwei Wochen Florida gebucht. Die muß mal raus aus diesem Land der Kälte und der
Finsternis.
    – Soll ich mich an den Kosten
beteiligen?
    – Laß gut sein. Ich habs ihr
nur gebucht, bezahlen will sie selbst.
    – Fährt sie allein?
    – Nein, mit ihrer besten
Freundin, ich glaube, eine Kollegin von der Schule. Mir drückt sie die Katze
auf. Cheers!
    David beendete den
Skype-Chat mit seinem in Toronto lebenden, drei Jahre älteren Bruder, loggte
sich aus und klappte den Laptop zu. Arved war ihm wichtig, obgleich sich die
beiden nicht ähnelten. Arved hatte nach Kanada geheiratet, im fremden Land eine
Ladenkette für Bioeiscreme gegründet und drei wunderschöne Kinder gezeugt,
Rebecca (genannt Becky), Max und Lea, elf, sechs und drei Jahre alt. David war
überzeugter Junggeselle geblieben, aber in letzter Zeit, besonders, wenn in der
Weihnachtszeit aus allen Supermarktlautsprechern Driving home for Christmas zu hören war, stellte er eine gewisse Sehnsucht an sich fest, wie viele
unaufhaltsam auf die vierzig zugehende Singles. Es genügte, sich an die
Geschichte zu erinnern, als man der unter Verstopfung leidenden kleinen Lea
einen Einlauf verabreichte, um jene vage Sehnsucht als Spinnerei abzutun. David
führte ein privilegiertes Leben als gefragter Fotograf. Er sah blendend aus,
ging locker für dreißig durch, acht Jahre jünger, als er war. Seiner gepflegten
Erscheinung wegen wurde er oft für schwul gehalten, Frauen faßten auffallend
schnell Vertrauen zu ihm. Er ging regelmäßig ins Fitneßstudio, bräunte sich im
Solarium, benutzte eine Nagelfeile und trug bevorzugt Jeans und Turnschuhe, was
seinem jugendlichen Auftreten umso mehr Glaubwürdigkeit verlieh. Und sein Beruf
verschaffte ihm Frauen noch und noch. Sie zogen sich vor ihm aus, posierten,
priesen ihre Körper an, fühlten sich erregt vom Klackgeräusch seines Auslösers.
David war gewöhnt daran, freie Auswahl zu haben und davon Gebrauch zu machen.
Daß Kati mit ihm Schluß gemacht und sich für ihre Beziehung mit Serge
entschieden hatte, traf ihn tiefer, als er sich eingestehen mochte. Anfangs war
er damit umgegangen, wie man mit so was umgeht, als gefragter Mann, selbstzufrieden
und mit Stolz. Eine ging, andere würden kommen.
    Es stand ein Nightshooting an,
oben im extra dafür gemieteten Restaurant des Fernsehturms am Alex. Fünf fast nackte (er hatte gegenüber seinem Bruder bewußt übertrieben) Mädchen
diverser Haut- und Haarfarben suhlten sich auf weißen Damasttischdecken,
zwischen Früchtekörben und Champagnerkühlkübeln, und alle trugen nur Strümpfe
der Firma Passion.
    Die Fotos entstanden für jenen
Auftrag, an dem Serge gescheitert war. Technisch gesehen war es ein schwieriger
Job, die Körper der Mädchen gut in Szene zu setzen, ohne die nächtliche Skyline
Berlins im Hintergrund zu einer diffusen Fernlichtorgie verkommen zu lassen.
Wenigstens eine Herausforderung. Vielleicht konnte man durch Überlagerung
zweier Bilder tricksen. Davids neuer Assi namens Adolf war ein
Spitzenbeleuchter, ein Naturtalent, das für ein Volontariatshonorar die Hälfte
der Arbeit erledigte. Adolf. Konnte man in Deutschland wieder jemandem diesen
Namen geben? Es gab offenbar kein Gesetz dagegen. Adolf sagte, seine Eltern
seien Neonazis aus Thüringen, und er habe lange mit dem Gedanken gespielt, sich
auf dem Amtsweg einen neuen Vornamen geben zu lassen. Aber er habe achtzehn
Jahre lang unter diesem Namen gelitten und wolle das nicht umsonst getan haben,
was könne der an sich ganz schöne Name dafür, daß er von einem einzigen
Arschloch diskreditiert worden sei. Irgendwann habe es ihm sogar gefallen,
Dreadlocks zu tragen, einen Anti-Nazi-Button an der Lederjacke, und Adolf zu
heißen, das sei eine gewisse Form von

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