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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Veronal
endlich ein wenig schlafen konnte, verließen sie, statt selbst schlafen zu
gehen, die Wohnung. In ihrem Zustand! Seither sind sechzehn Stunden vergangen.
Ist den beiden was zugestoßen? Haben sie das Weite gesucht? Wir wissen es nicht
und sind ein wenig sauer, dann besorgt, dann wieder sauer. Wenn ich auf dem
Handy anrufe, geht nur die Mailbox ran. Serge möchte nicht, daß wir
hierbleiben, will ins Hotel, aber nur, weil er denkt, daß ich hier keine ruhige
Minute hätte. Ich dagegen empfände das als Flucht. Den Einbrechern, oder als
was immer man sie bezeichnen muß, kann ich das nicht gönnen. Um Mitternacht,
vor wenigen Minuten, bekam ich dann eine SMS von Greta.
    Sind paar Tage unterwegs, was in
Ordnung bringen. Ihr werdet nicht mehr belästigt werden, habt keine Angst.
Macht es euch gemütlich. Entschuldigt uns bitte.
    Serge meinte, die beiden
hätten was ausgefressen und sich vorläufig in Sicherheit gebracht, und es sei
schon ein starkes Stück, uns erstens so gar nichts weiter darüber mitzuteilen,
zweitens uns derart selbstgefällig in Sicherheit zu wiegen, als läge unser
Wohlergehen allein in ihrer Macht. Woher wollten die denn so genau wissen,
ob wir Angst haben müssen oder nicht? Ich hab Serge selten so wütend erlebt. Er
hat es nicht explizit zur Sprache gebracht, aber dauernd schwang in seiner
Suada ein Vorwurf mit, der Vorwurf an mich, was ich für Freunde hätte, mit
welchem Gesindel ich mich umgeben würde. Mit Greta bin ich zur Schule gegangen,
so lange kenne ich sie schon, und wenn sie auch stets exaltiert war, das
Gegenteil einer grauen Maus, ich habe nie schlechte Erfahrungen mit ihr
gemacht. Ihre Seele, da hat Serge schon recht, die kenne ich nicht. Wir setzten
uns auf das falsche Eisbärenfell vor dem Fernseher und diskutierten die Lage.
Die Wohnung erscheint uns einigermaßen sicher. Die Schläger sind gestern Nacht
vermutlich über die Terrassentür eingedrungen, die wir zu schließen vergaßen.
Wir schnappten uns lange Küchenmesser aus dem Messerblock in der Küche, bevor
wir schlafen gingen, legten sie neben unsre Kissen, und Serge forderte mir das
Versprechen ab, diese Waffen im Zweifelsfall auch zu benutzen, volles Risiko zu
gehen, denn wenn die Typen wiederkämen, dann um uns zu töten , eingeschüchtert hätten sie uns ja schon. Er redete ein bißchen wie ein
Kind, das einen Western nachspielt, ich glaube gar, daß er insgeheim Gefallen
an der Situation findet. Einzig seine Sorge um mein Wohlergehen raubt ihm den
puren Jungens-Spaß daran. Es tut ja gut, seine Liebe zu spüren. Er will, sagt
er, wach bleiben, Wache schieben, mich beschützen.
    Ich bin aber schon ein großes
Mädchen, kann auf mich selbst aufpassen. In seiner Fürsorge liegt etwas
Herabwürdigendes. Ich fühle mich viel eher verpflichtet, auf ihn aufzupassen, hab Angst, er könnte aus einem falschen Impuls heraus auf die
Straße laufen und irgendeinen Passanten, der ihm verdächtig erscheint,
pseudo-präventiv verletzen. Eben stand er im Wohnzimmer, lugte durch die
Lamellen hinaus und er trug das Messer am Gürtel, wie ein Seeräuber. Da kann er
sich leicht ins eigene Fleisch schneiden, abgesehen davon, wie doof und albern
es aussieht. Bedingt durch die undurchschaubare Situation, in der wir uns
befinden, muß ich mir eingestehn, oder dessen eingedenk sein, immer, daß Serge
nicht klar im Kopf ist, daß er nicht in gängige Raster einzuordnen, geschweige
denn vorherzusagen ist.

DAVID
    19. Januar
    – Ich habe Borten
heute gesagt, wenn er Serge kündigt, gehe ich auch. Auf seinen besten
Fotografen wollte er dann doch nicht verzichten. Warum ich das mache, hat
Borten mich gefragt. Mich so ins Zeug zu hängen, für einen Kollegen, über den
ich zuvor immer abfällig geredet habe. Was sollte ich antworten? Außer einem
Schulterzucken fiel mir nichts ein. Borten hält mich jetzt für einen guten
Menschen. Nur weil meine Interessen ihm nicht einsichtig sind. Aber womöglich
ist das die beste Definition für einen »guten Menschen«. Ich glaube, daß nichts
auf der Welt ganz selbstlos geschieht. Solange Serge in derselben Agentur
arbeitet wie ich, halte ich indirekt Verbindung zu Kati. Eben hab ich ihr eine SMS geschickt, wider meinen Vorsatz. Es waren nur zwei Worte: Alles okay? Sie brachte es fertig, mit zwei Buchstaben zu
antworten: JA . Immerhin hat sie geantwortet.
    – Bist du verliebt?
    – Nein, nur anhänglich. Und
sentimental. Und besitzergreifend. Ich kann es nicht leiden, wenn ein Mensch
einfach aus

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