Die letzten schönen Tage
Einzigartigkeit und stelle seine Eltern
eher an den Pranger, statt ihre ursprüngliche Absicht schamhaft unter den Tisch
zu kehren. David, unter dessen Vorfahren ein jüdischer Urgroßvater war, hatte
Gefallen an dem jungen Mann gefunden, der praktisch ohne Gehalt ein halbes Jahr
für ihn arbeiten wollte. Sie waren Freunde geworden, und David unterstützte
Adolf finanziell, indem sie nach den Jobs zusammen koksten. Den
zusammengerollten Hunni ließ David jeweils auf den Klodeckeln liegen. Adolf war
ein guter Junge, steckte den Hunni ein und sagte nie ausdrücklich Danke, nickte
nur, als könne ein falsches Wort das Ritual des Almosens entwerten.
Um drei Uhr morgens war die
Session erledigt, Adi packte den Kram zusammen und fuhr ihn mit dem Lieferwagen
ins Atelier. David wollte die Nacht in einem Club ausklingen lassen. Ins
Berghain konnte man nicht mehr gehen, das war inzwischen zu berühmt und voller
Touristen. Nicht, daß David etwas gegen Ausländer gehabt hätte, aber man traf
die meisten Leute dort nur einmal, und er haßte es, immer von Null an zu
beginnen. Er hätte gerne so etwas wie eine Stammkneipe gehabt voller Freunde
oder guter Bekannter. Aber immer, wenn er ein Lokal betrat, galt sein Blick dem
nächsten schönen Frauenhals, es war eine Art Jagdinstinkt, der von ihm Besitz
ergriff. Mit der Kamera auf der Brust fiel es David leicht, Sexkontakte zu
knüpfen. Wildfremde Mädchen anzusprechen, vor allem die fitten, war er zu jeder
Tages- und Nachtzeit gewöhnt. Selten ging er allein nach Hause. Im Zweifelsfall
mußte er nur erwähnen, wen er schon alles fotografiert hatte, um einen
glaubwürdig wichtigen Eindruck zu hinterlassen. Immer gab es Mädchen, die in
ihm eine Chance erkannten, welche man nicht ungestraft vorübergehen lassen
durfte. Abgesehen davon gab es auch Mädchen genug, die sich ohne
karrieristische Hintergedanken in ihn verliebten. David befand sich in der
seltenen Lage, für diesen Markt Überdruß zu empfinden, er wollte längst etwas
anderes, auch wenn er sich dann doch noch oft, viel zu oft, für die Optik
entschied, für eine schnelle Nummer ohne Zukunft, mit irgendwem, der den Hunger
nach Nähe und Haut für Stunden stillen konnte.
Insgeheim beneidete David
seinen Bruder längst mehr als der umgekehrt ihn. Zwar ahnte/hoffte/befürchtete
David, niemals ein Familienmensch wie Arved werden zu können. Doch allein der
Verdacht, irgendjemand könne auf lange Sicht mehr vom Leben haben als er
selbst, verunsicherte ihn nachhaltig. Er wollte sich die Zukunft in jeder
Richtung offenhalten, und gerade an diesem Abend stellte er eine lähmende
Unlust an sich fest, auf Jagd zu gehen. Ob das schon das Alter sei, fragte er
sich. Er spürte eine innere Sehnsucht, sich zu verlieben. Dachte an Kati. Als
da was lief mit ihr, hätte er nie gedacht, sie jemals zu vermissen. Sie war ein
Fick gewesen, sie war siebzehn Ficks gewesen, um genau zu sein, und er bekam
diese Frau einfach nicht aus seinem Kopf, wofür es keine rationale Begründung
gab, außer vielleicht, daß nie zuvor ein weibliches Wesen mit ihm Schluß
gemacht hatte. Es ist also meine Eitelkeit, vermutete er zuerst, denn was genau
soll es sonst sein? Tief gehende Gespräche mit Kati? Hatte es nie gegeben. War
sie witzig gewesen? Auch nicht besonders. Vielleicht hatte es ihm gerade ihre
Schlichtheit angetan. Kann man das heutzutage ernsthaft für jemanden ins Feld
führen? Die Reinheit ihrer Seele? Wie pathetisch klingt das denn? Und doch war
es etwas in der Art – wie sie beim Sex immer an Serge dachte, auf ihre ganz
spezielle Weise loyal blieb. Nie hatte sie der Affäre irgendeine Chance auf
mehr gegeben, sie hatte sich abgegrenzt, abgeschottet, das Erotische vom
Amourösen getrennt.
David hatte es lange Zeit
gefallen, wenn sich die Mädchen (alle auf ihn erotisch wirkenden Frauen nannte
er Mädchen) in ihn verliebten, abhängig von ihm wurden, er genoß es sogar bis
zu einem gewissen Grad, wenn sie ihm lästig fielen. Bei Kati hatte er nie das
Gefühl bekommen, ihrer Herr werden zu können. Sie wußte zu exakt, was sie
wollte und was nicht. Daß Kati einen nicht arg gut aussehenden psychisch
Kranken ihm vorgezogen hatte, diese Niederlage nagte an David. Das Koks
putschte ihn auf, er konnte und wollte die Nacht nicht mit trüben Gedanken an
eine Niederlage ausklingen lassen. Er entschied sich für das Hello Sunshine , eine noch relativ neue Bar im jüngst hip gewordenen
Stadtteil Kreuzkölln, nahe der Kottbusser Brücke. Ein halbwegs,
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