Die letzten schönen Tage
Absage. Gern hätte er einen Fotoband nur mit
Ludengesichtern und ihren Lieblingshuren publiziert, dergleichen existierte seines
Wissens nicht auf dem Markt, und dabei war er doch sicher, daß die Eitelkeit
der Luden ihm ins Blatt spielen würde, wäre erst einmal Vertrauen hergestellt.
David ging die Wendeltreppe zur Toilette hinab und wartete neben dem
Zigarettenautomaten, bis jemand vorbeikam und ihm zwei Gramm Kokain verkaufte,
die Höchstmenge, die man am Körper tragen durfte, wollte man keine Anklage
wegen Drogenhandels riskieren. Daß jemand, sobald er das Lokal verließ, an
fiese Zivilfahnder geriet, war vorgekommen. Razzien hatte es im Hello Sunshine bislang nicht gegeben, anscheinend verfügten die
Betreiber über gute Kontakte. David zog, noch unten, auf dem Klodeckel, eine
dicke Line, um ohne Getaumel mehr Whisky trinken zu können. Den Gedanken an
eine Frau hatte er längst über Bord geworfen, das war keine Nacht, um zu
vögeln, mehr um loszulassen, sich selbst zu bedenken und einzukreisen. Eine
süß-melancholische Nacht, der man nichts beweisen muß, der man sich aussetzen
darf. Ihm wurde eigenartig zumut. Binnen weniger Minuten wurden seine Knie
weich. Sein Herz raste, und alle Muskeln schmerzten. Etwas Sonderbares geschah.
Davids Kopf löste sich vom Hals. Todesangst und Resignation stritten um einen
erschöpften, zitternden Körper, der doch fern war, weit weg und ganz schlaff.
Schwarz. Dann grelles Licht, das in die Augen stach.
David bemerkte gar nicht, daß
er auf dem Boden neben dem Pissoir Platz genommen hatte.
Er strich mit dem Handrücken
über kalte Kacheln. Und freute sich über die Kühle an den Knöcheln und
Fingerspitzen, ein willkommener Kontrast zur Hitze im Bauch. Darüber
explodierte sein Herz, in einem schnellen Takt. Wie der Motor eines Wagens,
dessen Räder durchdrehen. Die Tür, die verbotene Tür, öffnete sich, laut
schimpfend trat ein Mann auf den Flur, stampfte zur Toilette, echauffierte sich
über irgendwas – und nachdem er des grinsenden Davids gewahr wurde, öffnete er
den Reißverschluß seiner Hose, holte seinen Schwanz heraus und pisste auf den
Duftstein. David bekam ein paar Spritzer ab – und fluchte laut. Der Lude,
ohnehin schon denkbar schlechter Laune, glaubte sich beleidigt, zog eine Fratze
und richtete seinen Urinstrahl direkt auf Davids Gesicht, aber er hatte sich
schon ausgepisst, da kam zum Glück nichts mehr, nur ein Tritt, in die Leiste.
Proforma. Wie man einen Punkt hinter den Satz setzt. David wischte sich die
verschwitzte Stirn, schüttelte den Kopf. Peace! murmelte er und vergab seinem Peiniger.
Der sah ihn an und nickte überraschend, als habe er es sich anders überlegt und
sei bereit, Davids Entschuldigung zu akzeptieren. Der Lude war die falsche
Adresse für einen Konflikt. Jetzt nicht, und wenn es ein Später gab, auch
nicht. Der Dealer war schuld. Dieser widerliche Mensch, den David schon nicht
mehr hätte beschreiben können, hatte es gewagt und ihm Dreck verkauft. So viel
zu den spinnwebenartig im Raum schwebenden, unsichtbaren und ungeschriebenen
Gesetzen. David zog in Betracht zu sterben, er schob drei Finger in die Kehle
und übergab sich. Ihm kam die Idee, Adolf an- und um Hilfe zu rufen, aber das
Handy zu bedienen überforderte seine Motorik, als würde er versuchen, mit Hufen
eine Nummer einzutippen. Endlich, nach etlichen Stunden (in Wahrheit dreißig
Minuten), nachdem mehrere Gäste sich neben ihm erleichtert, aber weiter nichts
unternommen hatten, kam Lukas nach unten, der Türsteher. Scheiße, David, was
soll das? David wollte sich verteidigen, brachte aber nur Gebrabbel zustande.
Kati. Und ein Speichelfaden hing ihm vom Mundwinkel herab. Brauchst du einen
Arzt? Ich hol dir einen Arzt, aber vorher schaff ich dich an die frische Luft,
ich will nicht, daß du den Club in Mitleidenschaft ziehst! David hörte die
Worte von ferne, ein Wort wie Mitleidenschaft aus dem Mund des bulligen Lukas
belustigte ihn beinah. Kn Rzt. Sgut. Es folgten Verhandlungen, die in der
Hauptsache Lukas für ihn führte. Der Taxifahrer, der mit hundert Euro bestochen
werden mußte, so teuer war Davids Gestank (und etwas Blut lief ihm übers
Gesicht) – ich habe für hundert Euro gestunken, würde er dem Bruder erzählen,
mach mir das mal nach, das schafft sonst nur der U-Bahn-Penner mit den offenen
Beinen, vor dem alles davonläuft, was ne Nase hat –, brachte ihn gegen halb
sechs Uhr morgens in seine Wohnung, ansonsten David erfroren wäre. Im Schnee
vor
Weitere Kostenlose Bücher