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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Hunni in die Hand drücken, gegen das schlechte
Gewissen ihnen gegenüber. Blieb noch das schlechte Gewissen sich selbst
gegenüber. Trotz seines Lebenswandels hatte er sich in der Branche einen
gewissen Ruf erworben. Schlamperei und Launenhaftigkeit konnte ihm keiner
nachsagen. Es hallte noch was nach von der preußischen Erziehung, die
Generationen seiner Ahnen geprägt hatte. Selbst noch seine Mutter, Jule, die
nach dem Unfalltod ihres Mannes den kleinen David allein erziehen mußte, die
links eingestellt und während der Apo-Zeit in der marxistischen Studentenschaft
aktiv gewesen war, hatte auf einer strikt autoritären Erziehung bestanden, als
dem einzigen verläßlichen Mittel, aus kleinen Monstern Menschen zu machen. Und
immer hatte David funktioniert. Jule hatte ihm früh eingetrichtert, daß er
doppelt so gehorsam sein müsse wie andere Kinder. Um das Fehlen des Vaters auszugleichen
und sie, die Mutter, zu entlasten. Er war früh schon kein Kind mehr gewesen,
sondern ein kleiner Mann, den die Mutter mit viel Eigenverantwortung beschenkt
hatte, belastet hatte, je nachdem, wie man das werten wollte. Davids Ausbrüche
aus der Ordnung, die Frauen, die Drogen, die Exzesse – waren stets so
überschaubar geblieben, daß er am nächsten Morgen wieder einen klaren Kopf
besaß und die Scherben von letzter Nacht rechtzeitig zusammenfegen konnte. Ich
ende noch einmal wie Serge, dachte David, um sich sogleich über das, was er da
gedacht hatte, zu wundern. Ist Serge denn schon am Ende? Warte ich darauf, daß
Serge am Ende ist, damit Kati zurückkehrt und frei ist? David schaltete den
Fernseher ein, um sich abzulenken. Wieso stellte er sich Kati in einem weißen
Kittel vor?
    In diesem Moment begriff
er, worin genau sein Neid auf Serge – und der feine Unterschied von Neid und
Eifersucht – bestand. Es ging nicht darum, daß Kati toll aussah oder gut im
Bett war oder vor Esprit sprühte, Letzteres stimmte ja gar nicht – sondern daß
sie ein mütterlicher Typ war, daß sie ihre Energie voll und ganz in die Pflege
des kranken Serge investieren konnte, ohne sich um etwas beraubt zu fühlen.
Darauf lief es hinaus.
    Jule hatte ihm, wenn er jemals
krank gewesen war, das Gefühl gegeben, er halte den Betrieb auf. Von
pragmatischer Seite besaß das auch was Gutes, er war immer etwas schneller
gesund geworden als andere Kinder, hatte die Windpocken in zwei Wochen besiegt
statt in drei, selbst der Mittelhandknochen, den er sich beim Skateboardfahren
gebrochen hatte, war in rasender Geschwindigkeit zusammengewachsen, als würde
er sich für seinen desolaten Zustand schämen. Interessant, dachte David. Wie
klar mir das plötzlich wird.
    Eine Woche später traf er
sich mit Jule im Noi Quattro, einem relativ schicken italienischen Restaurant
am Südstern. Jule wollte von ihm mit Vornamen angesprochen werden, bestand aber
nicht darauf – und David bevorzugte es, Ma zu ihr zu sagen. Manchmal, wenn er
etwas mehr Distanz in seine Worte legen wollte, nannte er sie auch Mutter . Was dann wie ein Vorwurf klang. Es lag kein besonderer Grund für ihr
Treffen vor, außer daß sich Jule von ihrem Sohn Tipps für die bevorstehende
Reise nach Florida geben lassen wollte. David war beruflich schon weit in der
Welt herumgekommen, auch in den Staaten, und er erklärte Jule unter anderem,
wann und wie viel Trinkgeld sie geben mußte, auch wenn hochoffiziell kein Zwang
dazu bestand. Jule würde in Miami Beach Strandurlaub machen, dann in den Süden
fahren und etliche Ausflüge unternehmen, auch in die Sümpfe. Vor Alligatoren
hatte sie großen Respekt, und Geschichten, wonach immer mal wieder vereinzelte
Tiere in den Vorstädten auftauchten, gar in Swimmingpools badeten, ließ Florida
in ihrer Vorstellung zu einer unzivilisierten, ja beinahe apokalyptischen
Landschaft werden, in der an jeder Ecke eine ganz altmodische Todesart drohte.
Jule war in ihrem Leben erst dreimal geflogen, immer innerhalb Europas, und der lange Flug nach Miami machte ihr zusätzlich Sorgen. Sie habe sich
Kompressionsstrümpfe besorgt, um keine Thrombose zu bekommen. David sollte ihr
geeignete Reiselektüre empfehlen, am besten einen dicken Schmöker, fesselnd,
ohne zu viel Anspruch. David, der selten las, wenn, dann Sachbücher, keine
Romane, lenkte das Gespräch bald nach dem Hauptgericht auf Themen, die mit
Jules Reise nicht so viel zu tun hatten, die ihn mehr betrafen als sie. Wie sie
es sich denn erklären könne, fragte er, daß Arved und er sich so

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