Die letzten schönen Tage
unterschiedlich
entwickelt hätten, ob es vielleicht daran lag, daß sie Arved immer bevorzugt
behandelt habe, während er selbst oft das Gefühl haben mußte, ein hungriges
Maul zu viel an Bord zu sein. Jule hob die Augenbrauen und nannte das Quatsch,
sie habe ihre Kinder stets gleichermaßen gut behandelt, und wenn nicht, sei
doch er, David, das umsorgte Nesthäkchen gewesen. Wie könne er etwas anderes
annehmen? Sie klang empört, unwillig, in dieser Frage eine Diskussion
zuzulassen. Natürlich sei es für eine Frau mit wenig Einkommen schwierig,
alleine zwei Kinder großzuziehen, aber habe es ihm je an etwas gefehlt? David
schwieg. Er hatte sich vorgenommen, einiges anzusprechen, und mußte einsehen,
daß seine Mutter ihr ganz eigenes Spektrum besaß, in dem sie Wahrnehmungen aufarbeitete
und einsortierte. In diesem Spektrum war kein Einspruch vorgesehen, es wurden
selbst leise Zweifel als undankbare Spekulationen abgeschmettert. Hab du nur
erst mal selbst Kinder, lautete Jules Standardspruch, dann wirst du sehen, wie
das ist, es ist nämlich nicht leicht, ganz und gar nicht. David wunderte sich.
Konnte Jule noch allen Ernstes annehmen, daß er mit 38 Jahren aus dem Nichts
heraus eine Familie gründen, Kinder in die Welt setzen würde? Wieso hatte sie
ihn nie, nicht ein einziges Mal danach gefragt, ob er eine feste Freundin
besaß? Er nahm seinen Mut zusammen.
Sag mal, Mutter, hältst du
mich für schwul?
Jules Gesicht erbleichte, und
ihre Lippen verkrampften. Bist dus?
Aha. Sie hielt es demnach für
möglich.
Nein, ich bin nur bindungsunfähig.
Keine Angst. Da gibt es sehr viele Frauen. Bloß nicht die Richtige für mich.
Kommt noch, kommentierte Jule.
Gibt für alles im Leben eine Zeit. David stocherte enerviert ob der billigen
Weisheit in seiner Creme brulée. Die Frage, die er nun stellte, hatte er schon
immer stellen wollen.
Warum hast du dir nach Vaters
Tod eigentlich nie einen neuen Freund gesucht?
Seine Mutter sah ihn kurz an,
dann sah sie weg, als könne sie seinem Blick nicht standhalten.
Hat sich halt nichts ergeben.
Murmelte sie in ihre Serviette. Es war mehr als deutlich, daß sie das Thema
nicht weiter vertiefen wollte. Gibt es denn niemanden, sagte sie nun, wie um
von sich abzulenken, der dich einfangen kann? David meinte, es habe da eine
Frau gegeben, er habe sie anfangs nicht recht ernst genommen, die einem anderen
gehörte, dem er sie erst ausspannen müsse. Und er wisse nicht recht, ob er
diese Frau wirklich haben wolle oder sie nur jenem anderen mißgönne. Jule
schüttelte vehement den Kopf. Es gebe so viele Frauen auf der Welt, und er sei
doch ein schmucker, erfolgreicher Junge, da müsse er sich weißgott keine
aussuchen, die problematisch sei. Ich bin kein Junge mehr, Mutter. Bald bin ich
vierzig. Es gibt Clubs, da lassen sie mich nicht mehr rein, nur weil die
denken, ich bin über dreißig.
Was willst du auch in solchen
Clubs? Fragte Jule, zog alles ins Lächerliche, und ihr war kaum zu
widersprechen, denn so salopp, wie David seinen gesammelten Weltschmerz
formulierte, konnte es auf sie gar nicht anders als lächerlich wirken. Er sah
ein, mit seiner Mutter das, was ihm auf dem Herzen lag, nicht bereden zu
können, es war schlicht unmöglich. Hatte er zuvor noch auf einen ernst
gemeinten Ratschlag gehofft, fand er sich nun mit Phrasen abgespeist, hinter
denen kein echtes Interesse zu entdecken war. Er redete quasi mit einer
lebenden Leiche, einem banalen, asexuellen Wesen, das alles Irdische hinter
sich gelassen hatte, das einfach nur noch existierte, auf eine äußerst
wohlfeile Weise mit sich selbst im Reinen. Der Kellner räumte die Desserttellerchen
ab, fortan erschöpfte sich die Konversation darin, die Küche zu loben. Nach dem
Espresso ging man auseinander, ohne daß noch irgendetwas von Belang zur Sprache
gekommen wäre.
27. Januar
– Ich war gestern
mit Mama essen und hab ein paar Dinge angesprochen, ohne genau zu wissen,
worauf ich hinauswollte. Überhaupt ist das mein Problem in letzter Zeit, nicht
zu wissen, worauf ich hinauswill. Die vielen Frauen, die ich gehabt habe, oder
was man so haben nennt – ich glaube, ich könnte eine Therapie vertragen, und
ahne doch, was dabei herauskäme.
– Was denn?
– Daß mir unsre Mutter nicht
genug Liebe gegeben hat.
– Wie bitte?
– Ich will nicht sagen, daß
ich sexsüchtig bin, ich kann nur kein Angebot ausschlagen, das mein Beruf so
mit sich bringt. Aber es bietet immer weniger Befriedigung. Ich bin an dem
Punkt, wo
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