Die letzten schönen Tage
soweit das in
dieser Gegend möglich war, exklusiver Schuppen, der gleichermaßen von
Kunstschaffenden wie Zuhältern besucht wurde. Die einen blieben oben am Tresen,
tranken vor sich hin oder knüpften Drogenkontakte, die anderen spielten unten,
in den Privaträumen neben der Toilette, Craps um viel Geld. Oben wurde manchmal
getanzt, es gab ein kleines Areal, ein Parkett aus falschem Marmor, über dem
eine altmodische Stroboskopkugel kreiste. Samstags hockte ein DJ in einem winzigen Eckchen und legte Platten auf, wobei er mit den
Ellenbogen an die Wand stieß, wenn seine Bewegungen zu heftig wurden. Bier
schenkte man hier nicht aus, nur sehr teures irisches Wasser aus blauen
Flaschen und natürlich edlere Getränke, darunter eine beträchtliche Auswahl an
Single-Malt-Whiskys. Man wollte das familiäre Ambiente nicht von studentischer
Laufkundschaft durchseucht wissen. Bisher hatte das geklappt, und wenn sich
doch mal der Falsche hierher verirrte, gab es eine Art Türsteher, der nur eben
nicht vor der Tür stand, sondern drinnen, neben dem Vorhang, wie ein dezentes
Empfangskomitee, das sich schnell in ein Verabschiedungskommando verwandeln
konnte. David hatte an diesem Etablissement gleich Gefallen gefunden und alles
richtig gemacht bei seinem ersten Besuch. Hatte allen Stammtresenhockern einen
Drink spendiert, hatte dem Barkeeper erzählt, wer er war, was er tat – man muß
aktiv werden und rausrücken mit der Sprache, will man Vertrauen gewinnen. Nach
Mitternacht kamen in regelmäßigem Abstand die Koksdealer, eine Klientel ganz
eigener Sorte. Natürlich nicht das Gesocks von der Straße, nein, die wären hier
nie eingelassen worden. Davids geübter Blick konnte sie inzwischen sofort von
anderen Gästen, die nur Entspannung oder Bekanntschaft suchten, unterscheiden.
Es schien eine Art Code zu existieren, laut dem nie mehr als ein Dealer im
Lokal sein durfte, um einander nicht ins Gehege zu kommen. Man erkannte sie an
der Art, wie sie sich verstohlen, aber doch aufmerksam umsahen und die Menschen
nach potenzieller Kundschaft musterten. Hin und wieder ging einer die Treppe
hinunter und blieb am Zigarettenautomaten neben der Toilette stehen, als könne
er sich nicht für eine Marke entscheiden. Dann mußte man ihn ansprechen, auf
eine möglichst unverfängliche, bloß nicht zu plumpe Art, die dem Dealer
Rückzugsmöglichkeiten beließ. Sich einfach an die Nase zu tippen, genügte
bereits, um einen Blickkontakt herzustellen, ein wissendes Grinsen beiderseits
machte die Sache klar, meist ging der Dealer dann, nachdem er genickt hatte,
auf die Toilette und man folgte ihm. Hier wurde kein übel gestreckter Scheiß
verkauft – das hätte sich schnell rumgesprochen. David fand es großartig, wie
das Lokal, spinnwebenartig, von unsichtbaren und ungeschriebenen Gesetzen
durchzogen war. Ein perfektes, zielsicher entworfenes Halbwelt-Biotop,
maßgeschneidert für die etwas besser gestellten Nachtfalken, die darin
verkehrten. Manchmal kamen sogar B-Prominente vorbei oder schickten wenigstens
Strohmänner. Es war eng, es wurde viel geraucht, es war kein Etablissement für
romantische Stunden, eher ein Männerclub, in dem Frauen zu schnell betrunken
wurden. Manchmal hing am Tresen eine Nutte ab, während sie auf ihren Luden
wartete, der im Keller gerade die Tageseinnahme verzockte. Um einen
niveauvollen One-Night-Stand zu finden, war dies keine geeignete Adresse, sah
man von den zwei, drei verzweifelten, weil überreifen Trinkerinnen ab, die nur
darauf warteten, sich für ein paar Cocktails abschleppen zu lassen.
Die meisten Männer, die sich
darauf einließen, mußten Geduld haben und bekamen vielleicht am frühen Morgen
etwas für ihr Geld, sofern sie dann nicht selbst zu betrunken waren, und die
Frauen, ausnahmslos Ausdaueralkoholikerinnen, taten dann ohnehin nur noch das Nötigste,
das, was sie eben tun mußten, um sich keinen üblen Ruf als leere Versprechung
einzufangen.
Was für ein erbärmliches
Verhältnis von Aufwand und Ertrag, dachte David, es gibt so schöne und saubere
Bordelle in Berlin, und mit den Frauen dort konnte man ja auch reden, sie
küßten sogar. Ich werde alt, dachte er, wenn mir das Tierische viehisch
vorkommt.
David schüttelte mehrere
Hände, bestellte einen doppelten Aardbeg und eine Montechristo-Zigarre. Er
hätte gern einmal am unerlaubten Glücksspiel teilgenommen, unten im Keller,
traute sich aber immer noch nicht, den Barkeeper um Erlaubnis zu fragen, aus
Angst vor einer erniedrigenden
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