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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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dem Hello Sunshine . Das hätte was gehabt. Und die hundert Euro
waren in der Tat nur ein Schmerzensgeld, eine lächerliche Aufwandsentschädigung
für einen grundgütigen, turbantragenden Taxifahrer, der den letzten Gast seiner
Nachtschicht bis zum Savignyplatz fuhr, ihm Tempotaschentücher für sein
Nasenbluten gab, der in Davids Hose nach einem Schlüsselbund suchte und den
fahrig zuckenden, partout besserwisserischen Körper zwei Stockwerke hinauf bis
in dessen Bett bugsierte, bevor er sich endlich Gedanken um die Reinigung
seines Benz machen konnte.
    Als David erwachte,
erinnerte er sich jener Geschehnisse nurmehr in groben Zügen, doch reichte das
Wenige schon aus, um den Entschluß zu fassen, nie wieder in ähnlicher Weise
sein Leben zu riskieren. Er aß ein wenig Toastbrot und behielt es bei sich.
    Irgendwas in seinem Schädel
hämmerte und meißelte, um ins Freie auszubrechen. Es schabte von innen an
seinen Augen, als ob es dort den geringsten Widerstand vorfinden würde. Wenn es
da durchbricht, dachte David, werde ich blind sein, und meine Augen werden wie
Gallert aus den Höhlen hängen, zerstoßen, zerfetzt. Er rief Borten an und sagte
den einzigen Termin für heute ab. Wonach es ihm plötzlich besser ging.
    Gegen Abend kam Adolf vorbei
und wollte Details für das morgige Shooting wissen. Es sollten Fotos an der
East Side Gallery entstehen, für die Pelzindustrie, mit vier billigen, aber
gutaussehenden ukrainischen Models, die leider kein Wort Deutsch und nur wenige
Brocken Englisch sprachen. Außer diversen Pelzen sollten die Models nur dünne
Kleidchen tragen, also mußten starke Heizlüfter herangeschafft werden. Außerdem
war Schneefall angesagt, und feucht gewordene Pelze würden scheiße aussehen.
Sprich, es waren Planen nötig, doch niemand hatte bislang beim Gerüstbauer
einen Termin ausgemacht. Ein wenig Catering in Form einer heißen Gulaschsuppe
konnte auch nicht schaden. Und ein Wohnwagen mit Toilette, damit die zarten
Frauen nicht gezwungen waren, in den Schnee zu pinkeln. Nicht mal ein Visagist
war benachrichtigt worden, wie sich nach Rückruf bei der Agentur herausstellte.
Das alles mußte nun über Nacht organisiert werden, würde immense Zusatzkosten
verursachen. Wer hatte da geschlafen? Adolf maßte sich einen deutlich zu
mürrischen Tonfall an, nicht zuletzt, weil er strikter Pelzverächter war und
unbedingt etwas über seine ethischen Prinzipien loswerden mußte. David fand das
lächerlich, es war ein Job, und solange es auf der Welt Frauen gab, die bereit
waren, echte Pelze zu tragen, trugen die die Schuld, niemand sonst. Für das
Koordinationschaos zeichnete Borten verantwortlich, ganz klar. Doch Borten war
der Chef, somit tabu für den Moment. David litt immer noch unter Kopfschmerzen,
als er Adolf bat, die Situation zu retten, unter Aufbietung all seiner Kräfte.
Es sei nun an ihm, Potenzial zu beweisen. Adolf reagierte eigenartig. Statt die
ihm übertragene Chance als solche zu begreifen, deklarierte er die Lage als von
vornherein aussichtslos, zuckte mit den Schultern, griff zum Mantel und verließ
die Wohnung. David war sich bewußt, daß das entstandene Schlamassel ihm
angelastet werden würde, vielleicht sogar zu Recht, denn er, als Stabschef vor
Ort, hätte eine Checkliste erstellen, Bortens Versäumnisse rechtzeitig
voraussehen müssen. Ihm oblag letztendlich das Set, und wenn er jetzt den
schwarzen Peter seinem Assi weiterreichen wollte, kam das einer
selbstgefälligen, ja erbärmlichen Flucht aus der Verantwortung gleich. Er
konnte nicht umhin, Adolf für seine konsequente Haltung zu bewundern. Die
leider nur nicht weiterhalf. Morgen würden vier ukrainische Models vor den
letzten Resten der Berliner Mauer auf ein Honorar hoffen, magerer als sie
selber, und David würde ihnen mit Händen und Füßen mitteilen müssen, daß sie
weder einen Job noch Schwarzgeld bekämen, nur weil die Agentur und/oder er
etwas verbockt hatten und sein ansonsten bewährter Assistent für diesmal nicht
über sich hinausgewachsen war. Die Pelzfirma, die die Models vorgeschlagen und
per Bus ins Land transportiert hatte, würde der Agentur mit Klage drohen,
Reise- und Verpflegungskosten zurückfordern, aber man würde sich irgendwie
einigen. Borten würde einen Sündenbock brauchen – und Adolf war ja erst noch
ein Zicklein. Es wird an mir hängen bleiben, dachte David. Nicht, daß das alles
besonders wichtig gewesen wäre. Er würde morgen zum Set kommen und jeder der
vier Ukrainerinnen einen

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