Die letzten Städte der Erde
»Aber sie hat viele Bindungen an diesen Ort. Sie ist eine der Königinnen, Bettine, eine große Königin. Und nur sehr selten kommt sie hervor.«
»Wegen mir?«
»Weil du eine der letzten bist, vielleicht.«
Sie schüttelte den Kopf und blickte verwirrt, als Anne und Robert und der junge Richard sich verbeugten und Edward den Kopf senkte. Marc faßte nur an sein Herz und trat einen Schritt weiter zurück. »Marc!« protestierte Bettine, wollte ihn nicht verlieren, den einen, dem sie vertraute.
»Nun«, sagte die Besucherin mit einer Stimme wie das Knacken von Eis. Sie schien weniger eine Frau zu sein als vielmehr ein kleines Denkmal, in einem roten und goldenen Kleid, bedeckt mit Stickereien und Perlen, und ganze Bänder mit Perlen und nochmals Perlen in festem, rotem Haar. Sie hatte ein verkniffenes Gesicht, aus dem zwei Augen blickten wie lebendige Asche. »Nun?«
Bettine verbeugte sich wie die anderen; sie glaubte, es tun zu sollen. Die Königin machte einige langsame Schritte, hatte einen Blick für Essex und ein kurzes Nicken für Anne übrig. »Nun?«
»Meine Tochter«, sagte Anne. »Die erste Elisabeth.«
»In der Tat«, sagte die Königin. »Und Marc, guten Abend. Marc, wie geht es dir? Und die jungen Prinzen. Ein ziemlicher Aufruhr, meine Liebe, wirklich ein Aufruhr, den du hier herbeigeführt hast. Ich habe meine Spione; nicht nötig, sich zu wiederholen.«
»Ich werde nicht sterben«, sagte Bettine. »Ihr irrt euch alle. Ich habe ihnen gesagt, daß ich nicht sterben werde. Ich kehre zu Richard zurück.«
Die Königin blickte zu Essex und reichte ihm die Hand. Essex küßte sie und hielt sie dann fest, lächelte ironisch. »Sagtest du nicht einmal etwas in der Art?« fragte die Königin.
»Das tat er«, sagte Anne. »Es war letztlich dein Fehler, meine Tochter.«
»Damals«, sagte Elisabeth. »Aber es war sehr dumm von dir, Robert, daß du alten Geliebten als Botschaftern vertraut hast.«
Essex zuckte die Achseln und lächelte wieder. »Wenn nicht in diesem Jahr, dann im nächsten. Es war vorherbestimmt, daß wir nicht übereinstimmen.«
»Natürlich«, sagte Elisabeth. »Einmal gibt es Liebe und zum anderen Macht; und wir alle drei wollten das letztere, nicht wahr? Und du...« Wieder wurde dieser brennende Blick auf Bettine gerichtet. »Was für eine Art bist du? Keine Gebieterin über, aber vielleicht eine Sucherin nach Macht?«
»Weder noch. Ich bin die Geliebte des Oberbürgermeisters, und ich gehe wieder nach Hause.«
»Die Geliebte des Oberbürgermeisters.« Elisabeth schnaubte. »Die Geliebte des Oberbürgermeisters. Ich habe meine Spione. In ganz London spukt es. Ich habe Fragen gestellt. Dieser Bursche hat dich überlistet, dieser Tom Ash. Ah, er selbst ist niemand. Er arbeitet für andere. Er braucht die Nummern, das ist alles, und dafür wird er bezahlt. Und mit dieser Liste in fremden Händen ist dein kostbarer Oberbürgermeister in ernsten Schwierigkeiten. Revolution, meine Liebe, der Sturz von Fürsten. Bist du derart blind? Dein Oberbürgermeister ist gar nicht so sicher, obwohl er ein Tyrann ist... wenn nicht diese Gruppe von Männern in diesem Jahr, dann im nächsten andere. Sie werden ihn kriegen. Die Stadt London hat sich nie etwas aus Despoten gemacht, gekrönten oder bürgerlichen. Nicht einmal in ihrem Alter ist sie auf den Kopf gefallen. Nur geduldiger geworden.«
»Ich möchte nichts davon hören. Tom hat mich geliebt, das ist alles. Wo immer er die Finger drin hat...«
Elisabeth lachte. »Ich wurde für die Macht geboren? War es Zufall? Frage meine Mutter hier, wie sie bezahlt hat. Frage Robert hier, wie er dafür hat bezahlen müssen, nach meiner Macht die Hand auszustrecken, und wie ich sie trotzdem behielt... keine harten Gefühle, überhaupt keine. Aber meinst du, dein Oberbürgermeister sei zufällig an die Macht gekommen? Du bewegst dich in trübem Wasser und hältst dabei die Augen
geschlossen
. Dein ganzes Leben lang hat es dich nach Macht gelüstet, und du hast geglaubt, es gäbe einen leichten Weg dorthin. Aber den gibt es für dich nicht, denn du begreifst nicht, was du möchtest. Wenn sie dir ganz London auf einem Tablett reichten, würdest du nur den Flitter sehen. Du würdest nach anderen Händen suchen, um die wirkliche Macht in sie zu legen. Du bist hilflos. Das zu sein hast du dein ganzes Leben lang geübt, da wette ich. Ich kenne deinen Typ. Bettine. Was für ein Name ist das? Abgekürzt und verniedlicht – herabgesetzt.
E-lisabeth
lautet unser
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