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Die letzten Städte der Erde

Die letzten Städte der Erde

Titel: Die letzten Städte der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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nicht die Wunde – die machen nie ganz das, was du meinst, das kann ich dir erzählen –, sondern ich meine wirklich, daß es weh tat, so daß es eine sehr lange Zeit dauerte, bis ich wieder ins Freie hinauskam – nachdem man aus dem Tower ein Gefängnis gemacht hatte. Nachdem ich so viele Menschenleben hier habe vorbeigehen sehen. Da entschloß ich mich, hinauszugehen. Darf ich dich anfassen?«
    Sie wich zurück, stieß gegen den Sessel und zitterte. »Das ist doch nicht, wie du...«
    »O nein.
Ich
nehme niemandem das Leben. Darf ich dich anfassen?«
    Sie nickte mißtrauisch und hielt die Augen weit geöffnet, während er heranschwebte und eine Hand unter einem Armreifen sich ihrem Gesicht näherte, beringt und männlich und nur ein klein bißchen durchsichtig. Es war wie ein Hauch kalten Windes, und sein junges Gesicht wurde wehmütig. Weil sie schön war, glaubte sie, ein wenig stolz, und er jung und sehr gutaussehend – und schon lange tot.
    Sie wunderte sich...
»Wärme«, sagte er, sein Gesicht sehr nahe, und seine dunklen Augen sehr schön. »Ich bin wieder in meine melancholische Stimmung geraten... in all diesen letzten, langen Jahrhunderten, seit es für mich nichts mehr zu tun gab, keine Seelen, die ich in Empfang nehmen konnte, kein einziger, der glaubte, überhaupt niemand. Ich dachte schon, alles sei vorüber. Gibt es noch mehr, die immer noch glauben?«
    »Ja«, sagte sie. Und fuhr zusammen, denn Anne und Essex standen, sich an den Händen haltend, innerhalb der Mauer oder dahinter oder irgendwo, und außer ihnen noch weitere schattenhafte Gestalten. Die Kinder waren da und ein Mann, der betrunken aussah und leicht nach Alkohol stank, und es wurden immer mehr, Schatten, die außer Brokat auch Metall trugen, Leder, Felle und seltsame Helme.
    »Geht weg!« schrie Bettine diese Menge an und floh, warf das Tablett vom Tisch und drängte sich in eine Ecke. »Geht weg von hier! Ich werde nicht sterben! Ich bin nicht tapfer, und ich will es auch nicht sein! Soll doch sonst jemand sterben! Ich will nicht sterben!«
    Sie murmelten leise und verblaßten; und etwas berührte ihre Wange wie eine kalte Brise.
    »Geht weg!« kreischte sie – und fand sich allein mit den Echos. »Ich werde verrückt«, sagte sie zu sich selbst, ließ sich auf den Stuhl fallen und stützte den Kopf in die Hände. Als sie schließlich ins Bett ging, setzte sie sich voll angezogen in die Ecke und ließ das Licht brennen.
    Das Frühstück traf ein, und sie badete und zog sich an, las dann weiter in ihrem Buch, das sich langsam seinem leeren und glücklichen Ende näherte. Sie warf es zur Seite, denn ihr Leben würde nicht so verlaufen, und sie dachte weiter an Tom, weinte auch weiter, keine Schluchzer, sondern ein geduldiges, langsames Rinnen der Tränen, das ihr Makeup verwischte und ihre Augen verschwollen machte. Sie hatte keine Macht. Sie hatte alle diesbezüglichen Illusionen verloren. Sie wollte nur noch lebendig herauskommen, wollte leben und das alles vergessen. Sie versuchte sich erneut am Telefon, aber sie konnte aus der Tastatur nicht schlau werden, von der sie glaubte, sie könnte ihr vielleicht Zugang zu
irgend jemandem
verschaffen, wenn sie nur etwas über solche Systeme gewußt hätte, was nicht der Fall war.
    Zum erstenmal kam sie zu der Überzeugung, daß sie in der Gefahr schwebte, hier zu sterben, oder daß statt dessen Tom sterben und sie in gewisser Weise die Verantwortung dafür tragen würde. Sie war niemand, einfach niemand angesichts der Gefahren, die sie umherwirbelten. Sie war vollkommen hilflos; und überhaupt nicht tapfer, und nichts in ihrem Leben hatte sie je darauf vorbereitet, es zu sein. Sie dachte zurück an die Tage ihrer Kindheit, an die Schule und all die Arten von Wissen, die vor ihr ausgebreitet worden waren. Sie hatte es nutzlos gefunden... was es auch war für ein zehnjähriges Mädchen, das in der Überzeugung lebte, die ganze Welt sei hübsch ordentlich um ihren Finger gewickelt. Das in diesem Alter glaubte, alles zu wissen, was wichtig war, daß die Welt stets in Ordnung sein würde, wenn sie nur anderen zu Gefallen war.
    Abgesehen davon handelte die Vergangenheit von toten Leuten, während sie die Lebenden mochte. Und das Erlernen der Wissenschaft bedeutete das Erlernen der Tatsache, daß die Welt sich auf ihr Ende zu entwickelte, und darin lag keine Ermutigung. Sie wollte einfach Bettine Maunfry sein, die alles hatte, was sie je brauchte. Niemals, niemals an Tage denken, die zu weit in

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