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Die letzten Städte der Erde

Die letzten Städte der Erde

Titel: Die letzten Städte der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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war Richards Ausdruck einer der Überraschung, als hätte er irgend etwas völlig falsch berechnet. Blut bedeckte sie, und die lange Nadel war zwischen seinen Rippen vergraben, und er sank zu Boden, um dort zu kreischen und sich umherzuwälzen, oder es zumindest zu versuchen. Der Raum war sehr gut geräuschisoliert, und niemand kam. Sie stand dabei und sah zu, völlig taub in dem Bereich ihrer selbst, der das Gewissen hätte sein sollen, und wenn sie überhaupt etwas empfand, so ein vages Gefühl von Rechtfertigung.
    »Bettine«, sagte sie ruhig und setzte sich, wartete darauf, daß er starb, oder daß jemand, der ihn zum Turm begleitet hatte, ihn vermißte. Wer immer die Nummern besaß, hatte jetzt die Möglichkeit, von ihnen Gebrauch zu machen; eine neue Ordnung würde in der Stadt entstehen; viele Veränderungen würden eintreten. Sie überlegte, daß sie, hätte sie ihr Leben besser geordnet, jetzt vielleicht besser vorbereitet gewesen wäre und vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht gehabt hätte. Aber das war nicht der Fall. Sie hatte es nicht geplant. Das ist keiner von den Augenblicken, die man planen kann, hätte der Römer gesagt. Es ist das Leben – das zu ihnen führt.
    Und führte das Leben Londons – wirklich zu Bettine Maunfry? Sie verdächtigte sich selbst eines tiefen Gedankens. Sie war sogar stolz darauf. Richards Augen starrten jetzt ausdruckslos. Er hatte keine großen Schmerzen gehabt. Sie hatte das auch nicht eigentlich gewollt, wenn sie auch nicht davor zurückgeschreckt wäre. In einem solchen Augenblick hatte man nicht die Zeit zum Zurückschrecken.
    Es gab Macht, und es gab Liebe, und sie war ohne beides durchs Leben gegangen. Sie konnte nicht erkennen, was das eine mit dem anderen zu tun hatte; nichts, entschied sie, außer in dem Sinn, daß nie eine Bettine Maunfry existiert hatte, nur eine Puppe, die auf die Impulse anderer reagierte. Und nichts an ihr hatte irgend jemand lieben können.
    Sie verspürte nicht den Wunsch, rückgängig zu machen, was sie getan hatte; das war Elisabeths Probe für das Glücklichsein. Sie fragte sich, ob Richard sich anders entschieden hätte.
    Wahrscheinlich nicht, wenn man bis zu den Augenblicken ging. Aber Richard war in manchen Dingen nicht besonders gescheit gewesen.
    Ich frage mich, ob ich Bürgermeisterin hätte sein können, überlegte sie. Irgendwann habe ich eine Entscheidung dazu getroffen, und doch nie gewußt, daß ich sie traf.
    Auf der Treppe waren jetzt Geräusche zu hören. Sie kamen. Sie saß reglos da und fragte sich, ob sie auch gegen diese Leute kämpfen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie war schließlich nicht verrückt. Es war Politik. Es hatte mit der Politik Seiner Ehren des Bürgermeisters zu tun und mit einer gewissen Bettine, einem Mädchen, das sich entschieden hatte, einen Namen nicht zu nennen.
    Sie brachen ein, Soldaten, die die Leiche des Bürgermeisters mit großer Bestürzung entdeckten. Sie packten Bettine und brüllten Fragen.
    »Ich habe ihn getötet«, sagte sie. Sie schwenkten Gewehre nach ihr und beschuldigten sie, Anteil an einer Revolution zu haben.
    »Ich habe meine eigene durchgeführt«, sagte sie. Die Soldaten betrachteten sie daraufhin unsicher, besprachen sich untereinander und machten Anrufe in der Stadt. Bettine saß unter der Bewachung durch Gewehre da, und sie trugen den Bürgermeister hinaus, den armen toten Richard. Sie redeten von Mord und wunderten sich, wie sie die Kraft gehabt haben konnte, die Nadel so tief hineinzustoßen. Und was unglaublich war, sie erkundigten sich schließlich beim Wärter, was für eine Art Gefangene sie war, als glaubten sie, sie sei mehr, als die Akten besagten, die eingesperrte Anführerin irgendeiner Sache, das Zentrum der Bewegung, auf die sie Jagd gemacht hatten. Sie sprachen über mehr Wachtposten. Und die bekam Bettine letztlich in großer Zahl, und zum Abend hin war der ganze Tower von Soldaten umringt, schwere Geschütze fuhren in Stellung, große Batterien davon im Innenhof. Zwei Tage später blickte Bettine zum Fenster hinaus und sah Rauch dort, wo das äußere London lag, und sie wußte, daß in der Stadt Aufruhr herrschte.
    Die Wachtposten behandelten sie mit Respekt. Bettine Maunfry riefen sie sie, wenn sie mit ihr zu tun hatten, nicht Mädchen und nicht Bettine. Und obendrein forderten sie sie auf, einen Aufruf zur Feuereinstellung aufs Band zu sprechen.
    Aber was ihre nächtlichen Besucher anbetraf... – da war nichts mehr. Vielleicht scheuten sie

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