Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
mit Elektromotor wünschen, ist der Kampf gegen Geschlechterstereotype nicht vorbei.
Ich habe an einer anderen Stelle dieses Buches bereits beschrieben, wie im EU -Parlament debattiert wird – vor leeren Rängen – und wie abgestimmt wird – im Schweinsgalopp. Nicht einmal der fleißigste Abgeordnete wäre in der Lage, all die Vorlagen zu lesen, die er kennen müsste, um in der Lage zu sein, eine sachkundige Entscheidung zu treffen. Er könnte ebenso gut versuchen, den Ärmelkanal auf Rollschuhen zu überqueren. Spricht man die Abgeordneten darauf an, sagen sie, die entscheidende Arbeit finde in den Ausschüssen statt. Aber auch das muss bezweifelt werden, denn in dem Triumvirat aus Parlament, Rat und Kommission ist das Parlament nur die Empfangshalle, hinter der, wie bei einem Speakeasy in Chicago zur Zeit der Prohibition, die Räume liegen, in denen um hohe Beträge gepokert und darüber entschieden wird, welcher Clan welche Pfründe zugeteilt bekommt.
Ich bin mir sicher, die Abgeordneten sind sich der Umstände ihrer Arbeit bewusst. Ich bin mir auch sicher, dass die materielle Vergütung nicht reicht, um sich mit der Sinnlosigkeit des Brüsseler Alltags abzufinden. »Geschichte«, so hat es Theodor Lessing formuliert, ist »die Sinngebung des Sinnlosen«. Die Gegenwart ist es auch.
Um mit ihr leben zu können, muss man sie mit Sinnhaftigkeit auffüllen. Zum Beispiel, indem man eine »Entschließung« gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verabschiedet, in der darauf hingewiesen wird, dass seit fünf Jahren eine »Antidiskriminierungsrichtlinie« beim Rat »in der Schublade liegt«, die »Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung gewährleisten« soll. Was heißt: Die parlamentarische Vertretung von 500 Millionen Europäern, der neue Kongress der Volksdeputierten, ist nicht einmal in der Lage, eine solche »Richtlinie« für Selbstverständlichkeiten zu verabschieden, das »Hohe Haus« darf den »Rat« nur daran erinnern, was alles in seinen Ablagen ruht.
Ein Parlament, das dermaßen machtlos ist, kann Relevanz nur durch Betriebsamkeit ersetzen. Deswegen beschäftigen sich die Abgeordneten unter anderem mit der Frage, wie hoch die Mindestmengen von Anethol und Thujon im Absinth sein müssen, damit das Getränk als Absinth deklariert werden darf. Bevor man sich nicht darüber verständigt hat, kann die europäische Einheit nicht vollendet werden. Und darauf einen Dujardin! Gleich danach geht es um »Spielabsprachen im Sport«, die » EU -weit koordiniert« werden sollen, pardon, ich habe mich unter Einfluss der Absinth-Debatte verlesen: es geht um »Spielabsprachen im Sport«, deren Bekämpfung EU -weit koordiniert werden soll. Auch das ein Asbach Uralt der europäischen Agenda.
Und zwischen einer Absinth-Runde und einem virtuellen Besuch in einem Wettbüro »diskutieren die Abgeordneten mit der EU -Außenbeauftragten Catherine Ashton« über die Lage in Ägypten, Nordkorea, der Ukraine, in Syrien und Mali – alles an einem halben Vormittag. Und bevor die Abgeordneten Donnerstagmittag fluchtartig in das Wochenende aufbrechen, bringen sie noch rasch eine »nichtlegislative Entschließung« auf den Weg, in der China, Japan und Taiwan aufgefordert werden, sich »auf eine friedliche Lösung ihrer Streitigkeiten über die Inseln im Südchinesischen Meer« zu einigen, ein Ratschlag, auf den die Regierungen von China, Japan und Taiwan lange und sehnsüchtig gewartet haben. Im Gegenzug werden die Parlamente in China, Japan und Taiwan der EU empfehlen, ihre Streitigkeiten über die Auslegung des Schengen-Abkommens zu beenden und die Armutsmigranten aus Rumänen fair zu behandeln.
Eine solche Mischung aus Irrelevanz und Redundanz, wie sie im EU -Parlament praktiziert wird, dürfte in einer demokratisch legitimierten Institution einmalig sein. Der Vergleich mit dem Obersten Sowjet beziehungsweise dem Kongress der Volksdeputierten liegt nicht nahe, er ist unvermeidlich. Auch die Abgeordneten dieser »Parlamente« waren subjektiv von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe überzeugt. In allen demokratischen Systemen gibt es Leerlauf, Rituale, Reibungsverluste, in jeder Bürokratie werden Ressourcen vergeudet, aber in der EU ist das nicht der Preis, der für ein ansonsten funktionierendes System bezahlt werden muss, es ist das, was das System ausmacht. Erwachsene Menschen spielen Politik, so wie Kinder Kaufmannsladen oder Monopoly spielen. Der
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