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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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gemeinsam über die Zukunft der Agrarpolitik entscheiden«. Oder andersrum gelesen: Bis jetzt hatte das Parlament in dieser Frage nichts zu sagen, jetzt darf es »mitentscheiden«, und zwar im Sinne des Rates der EU . In einem anderen »Mitentscheidungsverfahren« soll »schnelle Abhilfe für enttäuschte Verbraucher« geschaffen werden. Nicht getäuschte , sondern enttäuschte Verbraucher.
    Ich wäre sehr für eine solche Regelung, weil ich als Verbraucher schon öfter enttäuscht wurde. Wie Michael Douglas, der in dem Film »Falling Down« eine McDonald’s-Filiale in Trümmer legt, weil man ihm nach elf Uhr kein Frühstück servieren will. Und wann immer ich mich an einer Autobahnraststätte gegen die Bratwurst und für einen Burger entscheide, stelle ich enttäuscht fest, dass der Burger, der mir verkauft wird, ganz anders aussieht als der Burger, den man mir in der Werbung serviert. Müde, platt und trocken, als hätte er eine längere Wanderung hinter sich.
    Als enttäuschter Verbraucher werde ich demnächst mit Hilfe des ADR -Verfahrens – ADR steht für »Alternative Dispute Resolution« – in die Lage versetzt, »bei Beschwerden über Waren oder Dienstleistungen …, die online oder in einem Laden, im Ausland oder im eigenen Land gekauft wurden«, eine der ADR -Stellen anrufen zu können, die in den EU -Staaten eingerichtet werden sollen. Wenn also eine finnische Hausfrau von einem in Rumänien hergestellten Vibrator, den sie bei einem holländischen Online-Anbieter gekauft hat, enttäuscht wurde, wird sie endlich jemanden haben, der sich ihrer annimmt. Wahlweise in Finnland, Rumänien oder Holland. In jedem Fall sollten »die Streitigkeiten … in höchstens 90 Tagen beigelegt werden und ADR -Verfahren für den Verbraucher vorzugsweise kostenlos oder gegen eine Schutzgebühr zugänglich sein«.
    Wer immer sich diese Regelung ausgedacht hat, er muss im Laufe seines Studiums ganz viel über »erfolgreiche Strategien zur Durchsetzung von ABM -Maßnahmen unter dem Vorwand einer verbraucherfreundlichen Politik unter besonderer Berücksichtigung der Vielfalt in Europa« nachgedacht haben. Denn parallel zum ADR -Verfahren, das für Geschäfte gilt, die »online oder in einem Laden« getätigt wurden, soll es auch noch »eine getrennte Verordnung zur Streitbeilegung bei Online-Verkäufen (Online Dispute Resolution, ODR )« geben; dafür wird »eine ODR -Plattform in allen EU -Sprachen mit Standard-Beschwerdeformularen eingerichtet«, die enttäuschte Verbraucher »zum jeweils geeignetsten Beilegungsverfahren lotst, je nach Beschwerdefall«.
    Wenn das Verfahren funktionieren soll, dann muss es nicht nur in allen EU -Sprachen angewandt werden, es muss auch »Beschwerdelotsen« geben, die denjenigen mit Rat und Tat zur Seite stehen, die mit den Formularen nicht zurechtkommen, wovon man ausgehen muss, wenn man nur eines der EU -Papiere, egal in welcher Sprache, gelesen hat. Die »Beschwerdelotsen« ihrerseits müssen sich für ihre Aufgabe qualifizieren. Es wird also bald eine EU -Richtlinie zur Ausbildung von »Beschwerdelotsen« im ADR - bzw. ODR -Verfahren geben, für diese Ausbildung wird es Fördermaßnahmen geben, für die ebenfalls Richtlinien erarbeitet werden müssen. Sie glauben, ich phantasiere? Nein, ich bin der Entwicklung nur um eine halbe Nasenlänge voraus.
    Aber lassen Sie uns in der Gegenwart bleiben, denn die Sitzungswoche vom 11. bis 14. März ist noch lange nicht vorbei, und die Abgeordneten haben sich viel vorgenommen. Sie werden in einer weiteren »nichtlegislativen Entschließung« die EU -Kommission dazu auffordern, »neue politische Initiativen sowie konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, um Geschlechterstereotypisierung in den Bereichen Erziehung, Medien, Werbung und auf dem Arbeitsmarkt sowie bei der politischen Entscheidungsfindung zu bekämpfen«.
    Denn der Kampf gegen Geschlechterstereotype, Sie erinnern sich, gehört zu den Evergreens der EU und auch zum Programm des EU -Parlaments. So wie die »Randfichten« bei jedem ihrer Konzerte den Hit »Lebt denn der alte Holzmichl noch« spielen müssen, so kommt der Kampf gegen Geschlechterstereotype immer wieder auf die Tagesordnung des EU -Parlaments, obwohl mit der Ernennung der Britin Catherine Ashton zur »Hohen Außenbeauftragten« der EU ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung der Geschlechterstereotype bereits geleistet wurde. Aber solange sich zu Weihnachten noch ein einziges Mädchen eine Barbie und ein einziger Junge einen Miniporsche

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