Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
Unterschied liegt allein darin, dass in Brüssel mit richtigem Geld gespielt wird.
Und es geht nur um eines: Geld, Geld und noch einmal Geld. Weil sich das aber so banal anhört und dem deutschen Idealismus zuwiderläuft, der im Sozialneid seinen reinsten Ausdruck findet, wird uns immer wieder versichert, die EU sei mehr, nämlich eine »Kulturgemeinschaft« und ein »Lebensmodell«. Eine Garantie für Frieden und strukturelle Voraussetzung für eine goldene Zukunft. Edzard Reuter, Sohn des legendären Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter, der mit seiner Familie nach der Machtergreifung der Nazis in die Türkei ins Exil ging, Sozialdemokrat von Geburt an und acht Jahre lang, von 1987 bis 1995, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG , ein Manager mit einem Sinn für das Machbare, wünscht sich »die Wiedergeburt einer Vision für Europa«, die »einen solchen Namen verdient«, nämlich die »Vereinigten Staaten von Europa«, und zwar »nicht als billige Kopie der USA «, sondern als »ein neuer, junger, stolzer und selbstbewusster Weg in eine erfolgreiche Zukunft«.
Jung, stolz, selbstbewusst, erfolgreich. So könnte auch eine Stellenausschreibung für einen Spitzenjob in der EU anfangen. Was mich noch stutziger macht, ist dies: Einerseits kommt Reuter nicht darum herum, sich auf die USA als »role model« zu beziehen, andererseits will er keine »billige Kopie«. Bei den Kosten, die Europa jetzt schon verursacht, kann von »billig« keine Rede sein, falls er es aber eher metaphorisch meint, dann ergibt seine Aussage noch weniger Sinn. Der Weg zu den »Vereinigten Staaten von Europa« ist eine Reise ins Ungewisse, bei der nicht mal die Leute auf der Kommandobrücke wissen, wohin sie führen und wie viel sie kosten wird, ein Abenteuer, das sogar Christoph Kolumbus unruhige Nächte an Bord der »Santa Maria« bereiten würde.
Reuter aber sieht in Europa »eine einzigartige Herausforderung, eine einzigartige Chance für junge Menschen, die ihren Blick voller Zuversicht nach vorn richten dürfen«. Gilt das auch für Italien, mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 37,8 Prozent im Februar 2013, wobei Ökonomen es schon als Fortschritt werten, dass sie im Januar noch höher war, nämlich 38,6 Prozent? Mag die Arbeitslosigkeit so langsam wie ein Jahrhunderthochwasser zurückgehen, die Zahl der Selbstmorde unter italienischen Jugendlichen nimmt jedenfalls zu. Das ist nicht zwingend eine Folge der wirtschaftlichen Umstände, aber der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass das eine mit dem anderen zu tun haben könnte.
Edzard Reuter aber hat eine Vision, die jenseits des Horizontes beginnt: »Europa heißt Rücksichtnahme der Starken auf die Schwachen, die Solidarität der Reichen mit den Armen – es setzt das Prinzip des Sozialstaates anstelle des rücksichtslosen Gebrauchs der eigenen Ellenbogen als Erfolgskriterium für eine lebenswerte Gemeinschaft. Europa heißt, allen Menschen ohne Rücksicht auf ihr Herkommen durch eine gute Ausbildung gleiche Chancen für ein Leben in Freiheit und Frieden zu gewährleisten.«
Mit diesem Programm könnte sich Reuter zum Ehrenpräsidenten der Heilsarmee auf Lebenszeit wählen lassen. Oder gleich eine eigene Kirche gründen, die »United Church of Europe«. Dann müssten nur noch die Zehn Gebote ein wenig umgeschrieben werden – »Ich bin Europa, Dein Gott, Du sollst neben mir keine anderen Götter haben« –, und schon könnte jede Sitzung des Europaparlaments mit einem überkonfessionellen Gebet anfangen: »Liebes Europa, wir danken Dir, dass Du uns aus der Sklaverei der Ellenbogengesellschaft in das Gelobte Land des Sozialstaates geführt hast, in dem die Starken auf die Schwachen Rücksicht nehmen und die Reichen mit den Armen solidarisch sind …«
Das ist nicht so weit hergeholt, wie es sich anhört. Die Europa-Idee weist alle Eigenarten einer Glaubensgemeinschaft auf. Es gibt eine Priesterkaste, die Brüsseler Nomenklatura, es gibt das Heer der Gläubigen, von denen freilich immer mehr desertieren, es gibt die Häretiker, die dem Glauben abgeschworen haben, es gibt Prüfungen, die bestanden werden müssen, die Zypernkrise zum Beispiel, und es gibt Opfer, die erbracht werden müssen, beispielsweise die »Beteiligung« der Sparer an der Bankenrettung oder was sonst noch so alles an Enteignungsmaßnahmen auf uns zukommt, wenn die Kredite auf »fällig« gestellt werden. Eine maßvolle Inflation, vor allem bei den Gütern außerhalb des offiziellen Warenkorbs, wäre da
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