Die letzten Tage von Hongkong
Smith lächelte. Cuthbert sah vom einen zum anderen.
»Nun?«
Caxton Smith sagte: »Natürlich geht Sie das nichts an, Milton. Es sei denn, Sie nehmen auch der Welt größte kriminelle Organisation für den Transport und den Verkauf von Heroin in Südostasien in Ihre Liste der Verdächtigen auf. Manche nennen sie die größte Triade von allen.«
Tsui verschluckte den Rest seines Hustenbonbons. »Ich glaube, er spricht von der chinesischen Befreiungsarmee, Milton.«
Cuthbert lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, sah seine Kollegen an und dachte nach. Einer der Vorteile der Tätigkeit für eine wohlmeinende Diktatur, und nichts anderes war das Kolonialsystem, bestand darin, daß das Personal an der Spitze nicht allzu häufig ausgewechselt wurde. Man sah Jahr für Jahr dieselben Gesichter, bis die Dinge, die ungesagt blieben, irgendwann wichtiger waren als alles in den Protokollen. Doch es gab auch Nachteile. Zum Beispiel konnte er unmöglich behaupten, daß die Gerüchte von den zahlreichen kriminellen Machenschaften der chinesischen Befreiungsarmee nicht stimmten. Alle drei Männer wußten sehr wohl, daß die Generäle dieser Armee ihre hochentwickelten Waffen heutzutage an den Meistbietenden verkauften. Sie zeigten dem Potentaten aus dem Mittleren Osten, dem Terroristen, wem auch immer, vor Ort ihre Waffen und ließen ihn Raketen, Bomben, Granaten, Panzer, was auch immer, auswählen. Und all das ohne die Zustimmung der Verantwortlichen in Peking. Tja, und dann waren da noch die Drogen.
Seit Deng Xiaoping dasselbe erkannt hatte wie Michail Gorbatschow in der UdSSR, nämlich daß eine herkömmliche sozialistische Wirtschaft früher oder später bankrott geht, war die natürliche Neigung des chinesischen Volkes zum Kapitalismus und all seinen Begleiterscheinungen entfesselt worden. Und eins der Bedarfsgüter, das die Briten in der schlechten alten Zeit selbst eingeführt hatten, das Opium, erlebte in Form von Heroin einen neuen Boom auf der alten Route vom nördlichen Birma über Yunan nach Hongkong und Schanghai, von wo aus es in fast alle westlichen Länder der Welt verschifft wurde. In Yunan beteiligte sich die Armee öffentlich am Handel, in Hongkong jedoch mußten sich die Generäle der Triaden bedienen.
Als Politischer Berater des Gouverneurs von Hongkong hatte man deshalb das Problem, die Straftaten der drei Millionen Mann zählenden kommunistischen Armee herunterspielen zu müssen, um eine Konfrontation zwischen den Vertretern des Gesetzes innerhalb der Kolonie und den Gaunern in Grün jenseits der Grenze zu vermeiden. Genau das bedeutete das Schweigen am Tisch: Der Commissioner hatte den Alptraum heraufbeschworen, dem Cuthbert zehn Jahre lang tunlichst ausgewichen war.
Caxton Smith brach das Schweigen. »Sehen wir dem Problem ins Auge: Früher oder später mußte das ja passieren.«
Cuthbert gab einen Grunzlaut von sich, dann starrte er Tsui einen Moment lang an. »Ich glaube, wir sollten mehr über Chief Inspector Chan herausfinden.«
Tsui nickte und holte ein einzelnes Blatt Papier aus einer schmalen Plastikhülle.
»Chan Siu-kai, den fast alle nach dieser lächerlichen Roman- und Filmfigur Charlie nennen, ist sechsunddreißig Jahre alt und geschieden – von einer Engländerin. Er hat keine Kinder. Er ist chinesisch-irischer Abstammung, doch seine Persönlichkeit und sein Denken sind rein chinesisch. Sein Vater hat sich aus dem Staub gemacht, ohne seine Mutter zu heiraten. Allerdings ist er lange genug geblieben, um eine jüngere Schwester für Chan zu zeugen, Jenny Chan. Sie ist eine Schönheit und war einmal Miss Hongkong. Und sie ist mit einem reichen chinesischen Anwalt verheiratet.
Seine Kindheit hat Chan in einer Hütte in den New Territories, nicht weit von Sai Kung an der Ostküste, verlebt. Leider gibt es in seinem Leben auch eine Tragödie. Nachdem der Ire seine Mutter verlassen hatte, wurde sie bei dem törichten Versuch der Rückkehr in ihr Heimatdorf in Guangdong von den Roten Garden ermordet. Charlie war damals fünfzehn. Charlie und Jenny wurden von einer Tante aufgezogen. Chan kam mit siebzehn zur Polizei und hat sich zum Detective Chief Inspector hochgearbeitet. Er gilt nicht als übermäßig ehrgeizig. Sein schneller Aufstieg hat mit natürlicher Intelligenz, Beharrlichkeit in der Aufklärung von Verbrechen und der Bereitschaft, Überstunden zu machen, zu tun. Er ist kein besonders geselliger Mensch. Unseres Wissens ist sein einziges Hobby das Tauchen. Als er etwas über
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