Die letzten Tage von Hongkong
senkte sie, ohne ihn anzusehen, die Hand und streichelte sein Gesicht.
»Ich habe dich immer geliebt, Johnny, wie den Bruder, den ich nie gehabt habe.«
»Ich liebe dich auch wie eine Schwester.«
»Dann wirst du’s also machen?«
»Emily, hör zu, das kommt nicht in Frage. Fünfhundert Millionen US-Dollar? Die Sache mit Zedfell haben wir letztes Mal gerade so hingekriegt. Und da ging’s nur um ungefähr dreißig Millionen. Ich werde keine Fragen danach stellen, woher dieses Geld kommt, aber du weißt so gut wie ich, daß es heiß ist. Solche Summen genügen, um auf die Titelseite von Time und Asiaweek zu kommen. Meine Kanzlei würde in dem Skandal untergehen. Erinnerst du dich noch, was in dem Nabian-Debakel mit Freeman’s passiert ist?«
Wong selbst erinnerte sich sehr wohl – genau wie jeder andere Anwalt seiner Generation. Ein Seniorpartner hatte nach seiner Flucht nach London Selbstmord begangen, zwei andere Partner waren verhaftet worden und hatten bis zum Beginn des Verfahrens, in dem sie noch einmal ganz knapp davongekommen waren, zwei Jahre lang nicht arbeiten können. Dazu kam der Verlust von wichtigen Bankkontakten und hervorragenden Klienten. Und das alles, weil sich Freeman’s auf eine illegale Eigentumsübertragung eingelassen hatte, die vermutlich sehr viel weniger dubios gewesen war als die, die ihm Emily nun vorschlug. Freeman’s hatte zehn Jahre gebraucht, um wieder in die Gewinnzone zu kommen, und selbst jetzt noch spielte die Kanzlei nicht ganz oben mit.
Sie zog seufzend ihre Hand weg. »Verstehe.«
Er zwang sich zu einem Lächeln, stellte sich hinter ihren Stuhl und massierte ihr den Nacken. Das gefiel ihr.
»Ich weiß, du bist die Kaiserin von Hongkong und nicht gewöhnt, daß dir jemand widerspricht, aber unsere Kanzlei gehört dir nicht. Du vermittelst uns ziemlich viele Aufträge, und du bist eine unserer wichtigsten Klientinnen, aber wenn die Partner vor die Wahl gestellt würden, ihren Ruf durch die Übernahme dieses Auftrags zu ruinieren oder dich als Kundin zu verlieren, würden sie sich, fürchte ich, gegen dich entscheiden. Weißt du, wenn wir uns darauf einlassen, laufen wir Gefahr, all unsere anderen Klienten zu verlieren. Dafür hätte keiner Verständnis. Das wäre fast so, als würde Morgan Grenfell ein Pfandhaus aufmachen – so etwas passiert einfach nicht.«
Emily ließ den Kopf nach hinten fallen, bis sie ihm direkt in die Augen schaute. Dann zog sie die Sonnenbrille zur Nasenspitze herunter. »Du machst dir also nur wegen deiner Partner Sorgen – andere Gründe gibt’s nicht?«
»Keine anderen Gründe, das schwöre ich dir.« Er lächelte fast schon süffisant. »Abgesehen davon, daß ich mir wegen der Sache vor Angst fast in die Hose mache.«
Sie lächelte. »Erzähl mir mehr darüber, Johnny. Meinst du, bloß weil ich ein stinkreiches Miststück bin, wache ich nicht fast jede Nacht schweißgebadet auf?«
»Du? Du bist doch das reinste Teflon.«
»Aber der Schrecken, mein Freund, ist die Wolke, die immer dann heraufzieht, wenn sich ein Silberstreifen am Horizont abzeichnet. Die Geschäfte, bei denen dir jedesmal, wenn du drüber nachdenkst, was du da eigentlich machst, die Nackenhaare zu Berge stehen – das sind die Geschäfte, die sich auszahlen. Weil niemand sonst den Mumm dazu hat. Verstehst du?«
»Wenn du das sagst. Aber ich habe nicht deine Nerven, Emily, das wissen wir beide. Ich weiß nicht mal, warum du weitermachst. Du hast doch weiß Gott genug.«
»Das weißt du ganz genau. Du hast das einmal sehr viel besser ausgedrückt, als ich es je könnte. Erinnerst du dich nicht mehr?«
»Nein.«
»Das war in deinem ersten Jahr in Oxford, mein Lieber. Ich weiß noch, daß ich damals einen ziemlich verzweifelten Telefonanruf erhalten habe …«
»Bitte nicht, Emily.«
»Einen ziemlich verzweifelten Telefonanruf. Ein paar brutale englische Schlägertypen nach einem Abend in einem Pub, in das du nie hättest gehen dürfen – das stimmt doch, oder? Es waren nicht so sehr die körperlichen Verletzungen, obwohl die dich weiß Gott ganz schön verprügelt haben, nein, es waren die psychischen Narben, die dir geblieben sind – wahrscheinlich bis zum heutigen Tag.«
»Na schön, du hast recht.«
»Weder dein Daddy noch ich haben dich überredet, deine Träume aufzugeben, sondern das rassistische England. Oder einfach die menschlichen Realitäten – was auch immer. Ich habe deine Worte nie vergessen: ›Wenn man schon Chinese sein muß, dann ist es
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