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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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jünger. Sie haben sie zu einem Geständnis gezwungen. Ihr ist das nicht schwergefallen, weil sie alles geglaubt hat, was sie ihr sagten, und sie der Überzeugung war, daß der böse Westen sie verblendet hatte.
    Normalerweise hätten sie sie laufen lassen, aber sie hat einen Fehler gemacht, den nur die wirklich Unbedarften machen. Sie hat ihnen gesagt, sie müßte noch einmal nach Hongkong zurück, um ihre Kinder zu holen. Tja, da sind sie zu dem Schluß gekommen, daß ihre Selbstkritik nicht gründlich genug war, und sie haben sie aus dem vierten Stock eines Regierungsgebäudes gestoßen. Sie hat sich beide Beine und das Becken gebrochen, und sie hatte ein Loch in der Schädeldecke, aber sie war bei vollem Bewußtsein. Ich habe mir von Augenzeugen erzählen lassen, daß sie dagelegen ist und irgendwann beschlossen hat zu sterben, weil es weder im Westen noch im Osten einen Platz für sie gab. Eine reine Seele mit einem großen Mondgesicht, die alles glaubte, was die Leute ihr erzählten.«
    Chan ging zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen, und kam wieder zurück. Dann saßen sie schweigend nebeneinander.
    Moira hustete. »Ziemlich viel Haß für einen Menschen. Und Haß ist ein Problem, wie eine Dorne, zumindest in meinen westlichen Augen.«
    Chan öffnete kopfschüttelnd die Dose und nahm einen Schluck.
    »Nein, Haß ist kein Problem. Wenn man böse ist und jemanden haßt, tötet man ihn; wenn man gut ist, vergibt man; und wenn man irgendwo dazwischen liegt, zögert man – aber das ist nicht das eigentliche Problem.«
    »Was ist es dann?«
    »Daß sie die ganze Welt auf den Kopf gestellt haben. Das treibt einen zum Wahnsinn.«
    »Auf den Kopf gestellt?«
    »Ja. Während der Kulturrevolution sind alle möglichen wichtigen Leute, amerikanische Football-Stars, Filmschauspieler, berühmte BBC-Kommentatoren mit Filmteams und französische linke Journalisten nach China gefahren und haben sich täuschen lassen. Wir haben uns gesagt, na schön, das liegt daran, daß der Westen naiv ist, die wollen an das sozialistische Experiment und an die schlauen alten Männer in Peking glauben, die so geschickt sind in der Kunst der Täuschung.
    Aber sogar, als die Wahrheit rausgekommen ist, ist nicht viel passiert. Die ganzen berühmten Leute haben sich nicht mal dafür entschuldigt, daß sie so dumm waren. Da haben wir uns gesagt, nun ja, was kann man schon erwarten, denen ist die Sache peinlich, und außerdem – was hätten sie schon machen können? Aber wenn die alten Männer wieder anfangen, Leute zu ermorden, stellt der Westen sie sicher an den Pranger. Und genau das ist passiert, als sie im Juni 1989 die Studenten auf dem Platz des himmlischen Friedens haben umbringen lassen.
    Der Westen war fuchsteufelswild; die Leute haben die Gewalttätigkeiten im Fernsehen scharf verurteilt; die Politiker haben von Handelssanktionen gesprochen, und niemand hat den blutrünstigen alten Männern noch irgend etwas geglaubt. Aber in Amerika und Japan und Europa hat es Menschen gegeben, die gesagt haben: ›Moment mal, da drüben gibt’s eins Komma vier Milliarden Menschen, das ist der größte Markt der Welt, und wenn wir Handelssanktionen über die verhängen, verkauft irgendein anderes Schwein denen die T-Shirts und die Turnschuhe und die Taschenrechner und die Mopeds.‹
    Also sind die Handelssanktionen nicht lange aufrechterhalten worden, und die blutrünstigen alten Männer in Peking haben so laut gelacht, daß man sie noch hier in Hongkong hören konnte. Und in zwei Monaten kommen sie mit ihren Panzern und ihrem höhnischen Lachen und ihrer Menschenverachtung, und die chinesischen Paravents werden aufgestellt, und keiner drüben in deinem Land wird mehr wissen wollen, was hier wirklich vor sich geht. Die werden sich zufriedengeben mit den Schattenspielen auf den Paravents, froh darüber, daß sie keine Gründe haben, den Verkauf der T-Shirts zu unterbinden. Das ist genau das Problem: Wie soll man leben, wenn man die ganze Zeit so agieren muß, als stünde die Welt auf dem Kopf und als sei das immer so gewesen?«
    Moira hörte auf, ihn zu streicheln. Die Fernsehlichter flackerten über sein Gesicht. Als Moira wieder etwas sagte, klang ihre Stimme wie aus der tiefsten Bronx. »Ganz schön hart, das, Charlie. Ich bin mir nicht so sicher, ob ich dir da helfen kann.«
    »Nun, ich wüßte etwas, das ein bißchen helfen könnte.«
    »Sag’s.«
    »Du könntest aufhören zu lügen.«
    Schweigen.
    »Hast du gesagt, ich soll aufhören zu

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