Die letzten Tage von Hongkong
lügen?«
»Ja, genau das habe ich gesagt. Du warst Sergeant bei der New Yorker Polizei, aber du bist vor über zwei Jahren in den Vorruhestand gegangen. Deine Tochter Clare hat tatsächlich die New York University besucht, aber sie hat ihren Abschluß nicht in Soziologie gemacht, sondern in Betriebswirtschaft. Schon merkwürdig, daß eine Mutter solche Fehler macht.«
Das Schweigen dauerte so lange, daß Chan zu dem Schluß kam, Moira würde ihm keine Antwort geben. Eigentlich war das auch egal. Er konzentrierte sich wieder auf die Bilder der Kung-Fu-Show. So leicht ließ sich das Böse doch nicht besiegen. Mittlerweile war es zu einem Gegenangriff der bösen Mönche aus dem schwarzen Kloster auf der anderen Seite des Hügels gekommen. Es war nicht schwer, sie von den guten Mönchen zu unterscheiden, weil sie beim Sprechen immer knurrten, während die guten Mönche ganz gelassen wirkten. Wenn er jemals Filmschauspieler werden würde, müßte er Bösewichte spielen. Schließlich machte Moira Anstalten, etwas zu sagen.
»Du hast das noch am gleichen Tag nachgeprüft? Die Sache mit der Uni auch? Die New Yorker Polizei hätte dazu mindestens einen Monat gebraucht. Vorausgesetzt, sie hätte sich überhaupt die Mühe gemacht. Wahrscheinlich war es dir nicht geheuer, daß ich unten im Laden die Sachen eingesackt habe, stimmt’s? Du hast mir also nicht geglaubt, daß ich das gemacht hab’, um dich auf die Probe zu stellen?«
Chan versuchte, sie anzusehen. »Sollte ich das denn?«
Moira brummte: »Wahrscheinlich nicht.«
ACHTZEHN
Für eine Million US-Dollar bekommt man kein Haus auf Hong Kong Island, nicht einmal ein kleines; fast alle Menschen dort leben in Wohnblocks. Die wenigen noch verbliebenen Häuser aus den Anfängen der Kolonialzeit, die die Taipane in grauer Vorzeit hoch oben auf dem Peak, weit weg von Cholera und Malaria, erbaut hatten, gehörten im Regelfall internationalen Unternehmen und dienten deren Topmanagern dazu, ihre Gäste zu bewirten und zu beeindrucken. Eines der drei- oder vierstöckigen Herrenhäuser, die am Hang des Berges klebten, zu besitzen, galt als Beweis für die Zugehörigkeit zur örtlichen Aristokratie. Solcher Reichtum war sogar für Hongkonger Verhältnisse atemberaubend.
Jonathan Wong hatte die Verträge gemacht, als Emily ihr Haus vor ungefähr sechs Jahren gekauft hatte. Sie war aufgeregt gewesen, voller Pläne für die Umbauten und die vielen Feste, die sie hier veranstalten würde. Seit damals hatte sie immer wieder Flügel angebaut, Wände herausgerissen und die Inneneinrichtung verändert. Ihr Swimmingpool war der größte in der Gegend, fast mit olympischen Maßen, mit römischen Säulen und Terrakottafliesen. Das Haus ging nach Südwesten, so daß man von dort aus nicht den Hafen, sondern den dichtbewachsenen grünen Abhang zum Lamma Channel und die weite, offene See dahinter sah.
Eine große Markise gleich neben dem Swimmingpool spendete Schatten. Emily saß mit einem beigefarbenen Bademantel und einer Gucci-Sonnenbrille da, als ein Hausmädchen ihn hereinführte.
Er gab ihr einen Kuß auf die Wange und setzte sich ihr gegenüber an den Marmortisch.
»Ich hab’ der Köchin gesagt, sie soll was Italienisches machen. Antipasto misto, spaghetti ai funghi und danach Obst. Ich hab’ sogar ein paar ganz ordentliche Erdbeeren in Olivers aufgetrieben, die du zusammen mit crème à l’anglais haben kannst, wenn du möchtest. Oder ißt du jetzt wie alle anderen Männer der Mittelschicht, die auf die Vierzig zugehen, keine Sahne mehr?«
Wong zog sein Sakko aus und nahm seine Krawatte ab. »Ich esse noch Sahne, weil ich der Ansicht bin, daß Streß, nicht Cholesterin, die Menschen umbringt. Außerdem besitze ich nicht die Charakterstärke, auf Sahne zu verzichten.«
Heute lachte sie nicht über seine Witze. Sie wirkte sogar ein wenig verärgert, daß er seine Krawatte abgenommen hatte. Es hatte keinen Börsenkrach gegeben, also litt sie wahrscheinlich unter besonders starken Menstruationsbeschwerden.
Er wartete, bis das Hausmädchen einen Eiskübel mit einer Flasche Perrier gebracht hatte. »Du hast also noch mehr Arbeit für mich?«
»Wenn ich dich damit nicht überfordere.« Sie sah ihn einen Augenblick an. »Ich fürchte allerdings, daß die Sache ein wenig kontrovers ist. Trotzdem möchte ich, daß du sie übernimmst. Ich möchte offen zu dir sein: Du schuldest mir was, und ich muß dafür sorgen, daß diese Sache erledigt wird.«
Wong lächelte, doch insgeheim
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