Die letzten Tage von Hongkong
Inneren waren ein paar Waffen und ein langer Bleibehälter, in dem sich so etwas wie ein Rohrstück befand. Sie haben es alle in die Hand genommen, aber Higgins hat sich am längsten damit beschäftigt. Er wollte Ihnen bei Ihren Ermittlungen behilflich sein, Charlie. Er hat sich gern zum Narren gemacht – schließlich ist er jung –, aber er war auch eifrig, ein guter Polizist. Alle Leute, die an dem Tag auf dem Boot waren, haben körperliche Schäden durch die Strahlen erlitten. Die drei, die Sie gesehen haben, hat es am schlimmsten erwischt. Nur Ihnen fehlt überhaupt nichts.«
Chan schluckte. »Man hat mich von dem Boot heruntergeholt. Higgins hat drauf bestanden, weil ich zu tief getaucht bin und fast ertrunken wäre. Er hat gedacht, ich kriege die Taucherkrankheit.«
»Aber Sie haben den Koffer gefunden. Sie. Ganz allein in fünfundvierzig Metern Tiefe. Nachdem Sie Ihre Begleiter gegen alle Regeln des Tauchens verlassen hatten.«
Chans Augen begannen zu tränen, seine rechte Hand zitterte.
»Das war so eine Ahnung. Warum sollte ich davon ausgehen, daß die Leute nur einen Gegenstand über Bord geworfen hatten? Meine Kollegen hätten mich doch nie tauchen lassen, wenn sie gewußt hätten, daß ich mich umsehen würde – aber irgend jemand mußte das ja machen. Das steht in allen Handbüchern: Überprüfen Sie den Tatort beziehungsweise den Ort, an dem Beweisstücke gefunden wurden, in immer größer werdendem Radius.« Er sah Cuthbert an. »Ich bin Polizist. Warum hätte ich den Tauchern etwas davon erzählen sollen, wenn ich korrupt wäre? Es ergibt keinen Sinn …«
»Es könnte ja sein, daß man Sie aufs Glatteis geführt hat – wesentlich ist, daß Sie wußten, wo Sie suchen mußten. Den Koffer kann niemand zufällig gefunden haben, weil er sich in einem Graben befand, der halb von Korallen verdeckt war.«
»Mein Gott, ich bin der Route der Schmuggler gefolgt und habe auf der Strecke nach Beweisstücken gesucht, auf der das Boot unterwegs gewesen sein muß, als der Fleischwolf über Bord geworfen wurde.«
»Und dann sind Sie verschwunden.« Cuthbert legte die Fingerspitzen zusammen und drückte sie gegen die Lippen, dann hob er drohend den Zeigefinger. »Deswegen haben wir Verdacht geschöpft. Charlie Chan ist nicht der Typ Polizist, der ein Beweisstück findet und dann einfach verschwindet. Das sagen alle. Sogar der Commissioner. Sie haben nicht mal angerufen, um sich über den Fortgang der Ermittlungen zu informieren. In den letzten zwei Jahren haben Sie insgesamt nur zwei Tage Urlaub gemacht.«
»Seit meiner Scheidung.«
»Wir haben über Funk eine Suchaktion nach Ihnen gestartet, den Kai-Tak-Flughafen ständig kontrolliert, ja, wir haben sogar die Fischerboote überprüft.«
»Sie hätten im Grand Hyatt nachfragen sollen.«
Ermittlungen waren etwas sehr Langwieriges, dachte Chan, daran bestand kein Zweifel. Man prüfte, prüfte noch einmal und prüfte wieder. Das hatte nichts mit Kunst zu tun. Neunzig Prozent solcher Ermittlungen konnten eigentlich von einem einfachen Angestellten oder Bibliothekar durchgeführt werden. Die Erfahrung lehrte den Polizisten lediglich, daß alle Menschen Lügner waren, wenn es um das persönliche Überleben und Wohlergehen ging. Aber die unterschiedlichen Bewohner der Stadt logen auch unterschiedlich. Generell ließ sich folgende Regel aufstellen: Arbeiter vertuschten Diebstähle, Angestellte Steuerdelikte. Und genau darin lag der Unterschied zwischen dem Profi und dem Amateur: Der Profi wußte immer sofort, welche Sorte Mensch er vor sich hatte und welche Art der Unehrlichkeit dieser bevorzugte. Würde ein Chief Inspector zum Beispiel bei nachprüfbaren Details lügen?
Als Chan wieder im Hauptquartier der ICAC war, saß er schweigend da, höflich, aber unbeeindruckt. Er hatte in einem Raum, der sich nur insofern von dem ersten unterschied, als er fensterlos war und sich kein Forte darin aufhielt, auf einem Stuhl Platz genommen, ganz ähnlich dem, mit dem er sich gegen den mittlerweile im Krankenhaus liegenden Südafrikaner gewehrt hatte. Auf der anderen Seite des Schreibtischs erledigte ein Beamter Telefonate, ließ Chans Akten holen und telefonierte wieder. Es war erstaunlich, wie schweigsam die Menschen wurden, wenn sie erfuhren, daß die ICAC anrief. Und Chan hatte gedacht, schon die Polizei hätte es schwer.
Schließlich begannen die winzigen Beweissplitter, ein Muster zu ergeben. Das Leben von Chief Inspector S. T. Chan nahm Gestalt an auf dem
Weitere Kostenlose Bücher