Die letzten Tage von Hongkong
1984, Cos d’Estournel?«
Henderson ließ seine große Hand auf Cuthberts Unterarm sinken. »Milton, ich glaube fast, Sie beginnen hellseherische Fähigkeiten zu entwickeln.«
Cuthbert würdigte Hendersons Humor mit einem Kichern. Abgesehen von seinem Rang bewunderte Cuthbert seinen Vorgesetzten deswegen, weil er der einzige Mann war, der das Kreuzworträtsel der Times schneller lösen konnte als er selbst. Und natürlich äußerte sich die geistige Wendigkeit des beleibten Mannes auch auf andere Weise. Hinter dem verhätschelten Gourmet verbarg sich ein höchst gewiefter und verschlagener Papierkrieger. Selbst wenn Cuthbert ihn nicht hätte leiden können, wäre er dumm gewesen, wenn er die Freundschaft mit ihm nicht gepflegt hätte, denn die weniger einflußreichen Posten in Whitehall nahmen oft diejenigen ein, die es versäumt hatten, Sir Michael Henderson ihren Tribut zu zollen.
Der Chauffeur hielt den Wagen vor der Drehtür des Hong Kong Club in der Jackson Road an und stieg aus, um die hintere Tür für Henderson zu öffnen. Cuthbert dirigierte ihn durch den Eingang ins Foyer des Clubs. Zur Rechten befand sich ein lebensgroßes Gemälde der Queen und des Duke of Edinburgh, zur Linken zwei gelangweilte chinesische Garderobenburschen. Vier bedeutende Männer, die Cuthbert erkannte, warteten auf ihre Gäste. Im Lift wartete der Chief Secretary of Hong Kong darauf, nach oben zu fahren.
»Kommen Sie herein, Michael, wenn Sie es wagen, die japanische Technologie mit Ihrer Masse herauszufordern«, sagte der Chief Secretary.
Henderson grinste breit. »Peter, was zum Teufel machen Sie denn hier?«
»Ich arbeite in Hongkong, Michael, das wissen Sie doch sicher?«
»Ja, ich habe Gerüchte gehört – Sie sind so etwas wie ein Sekretär, stimmt’s?«
»Tja, so was Ähnliches«, sagte der Chief Secretary. »Was führt Sie in unsere ruhige Gegend?«
»Er ist zum Lunch da«, sagte Cuthbert, nachdem die Lifttüren sich geschlossen hatten.
»Nun, dann werde ich sicherheitshalber gleich doppelte Portionen bestellen, nur für den Fall, daß er vorhat, sich den ganzen Braten einzuverleiben.«
Die drei Männer unterhielten sich lachend weiter bis zum Jackson Room, wo ein chinesischer Oberkellner sie mit schmierigem Charme begrüßte und Henderson und Cuthbert zum üblichen Tisch des Diplomaten in einer Ecke führte, von wo aus sie den gesamten Raum überblicken konnten. Es waren ausschließlich Männer da, denn Frauen durften zur Mittagszeit nicht in den Jackson Room.
Sie setzten sich gleichzeitig, zogen die Servietten aus den Ringen und sahen den Oberkellner an.
»Eine Bloody Mary«, sagte Henderson.
»Das gleiche«, sagte Cuthbert und lächelte einem chinesischen Kronanwalt zu, der am Nebentisch mit dem Generalstaatsanwalt zu Mittag aß.
»Euer Chief Secretary sieht aber furchtbar dünn aus«, sagte Henderson. »Ich hoffe, daß er keine politisch korrekte Diät begonnen hat.«
»Ich glaube, er macht sich eher Sorgen um die Zukunft Hongkongs.«
»Ach, das! Tja, er ist immer schon ein Grübler gewesen, schon damals in Eton. Wissen Sie, deswegen habe ich ihm geraten, hierherzukommen. Ich bin wirklich froh, daß ich ihm den Rat gegeben habe – er hat nie mehr einen Blick zurück geworfen. Für die Mannschaft zu Hause hatte er nicht die nötige Kaltschnäuzigkeit. Aber sagen Sie ihm lieber nicht, daß ich Ihnen das erzählt habe.«
»Haben Sie mich auch deshalb hierhergeschickt, Michael?«
Henderson legte seine großen Hände auf dem Tisch zusammen, als wolle er beten. »Mein lieber Freund, Sie sind hier, weil Sie der einzige sind, der die Nerven besitzt, die letzten Stunden des geheiligten britischen Empire zu begleiten.«
»Wirklich? Damals haben Sie gesagt, weil ich Kantonesisch und Mandarin kann. ›Wie ein Kuli‹, so haben Sie sich seinerzeit ausgedrückt, wenn ich mich recht erinnere.«
Henderson tat seine Bemerkung mit einem mißbilligenden Geräusch ab. »Das haben Sie doch selber nicht geglaubt. Sie wissen, was ich von Sprachen, besonders asiatischen, halte. Wie man mit zehntausend Zeichen, oder wie viele es auch immer sein mögen, ein ordentliches Kreuzworträtsel hinkriegen kann, liegt außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Die chinesische Küche allerdings hat meine allergrößte Hochachtung. Und soweit ich mich erinnere, waren Sie doch ganz wild drauf. Zu Ihren Gunsten habe ich damals angenommen, daß Sie auf das Essen aus waren, nachdem der alte Moffat sich ja schon die Stelle in Paris unter
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