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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Engländer in Armeeuniform mit kleinen, schwarzen Automatikpistolen. Sie sahen zuerst Cuthbert an, dann Chan. Man hatte Gerüchte über ihn verbreitet, soviel war klar.
    Am Eingang zur Station standen nochmals zwei bewaffnete Wachen. Ein englischer Arzt mit weißem Kittel kam zwischen hellgrünen Trennwänden auf sie zu. Cuthbert sonderte sich ein paar Minuten von der Gruppe ab, um sich mit ihm zu unterhalten. Chan hörte, wie er den Arzt mit »Major« anredete. Also handelte es sich um ein Militärkrankenhaus.
    »Bringen Sie ihn hier rüber«, sagte Cuthbert.
    Sie führten Chan hinter die erste Trennwand. Sein Blick wanderte über bandagierte Beine, die mittels einer Konstruktion über dem Bett hochgehalten wurden, auf ebenfalls bandagierte Hände, die über Bettkanten baumelten, und schließlich zum verzerrten Gesicht eines der Taucher. Der Mann gurgelte etwas, als er Chan sah.
    Das Gesicht des Tauchers war voller Ekzeme mit gelben Verkrustungen. Sein Mund stand weit offen; die Lippen waren von großen Geschwüren fast weggefressen. Der Mann zitterte.
    Cuthbert wandte den Blick nicht von Chan, während der Arzt sprach.
    »Agranulozytose – das sind infektiöse Ekzeme und schwere Vereiterungen, die zusammen mit den anderen Symptomen auf eine Schädigung der Haut durch Strahlung hindeuten.«
    »Erzählen Sie ihm von den anderen Symptomen«, sagte Cuthbert.
    »Akute Anämie, Schwellungen der Lymphknoten, starke Schmerzen im gastrointestinalen Trakt, schlechtes Blutbild, beginnende Exfoliation – das heißt Ablösung der Haut.«
    Cuthbert nickte und führte die Gruppe zum Flur zurück.
    »Und jetzt bitte die andern, Major.«
    Sie folgten dem Arzt hinter weitere Trennwände. Der andere Taucher befand sich in ähnlichem Zustand wie sein Kollege. Er starrte Chan an.
    Das letzte Opfer war Higgins. Die Haut löste sich bereits von Gesicht, Händen und Unterarmen ab; die Haare waren verschwunden; sein Kopf war auf der einen Seite aufgedunsen; rötliche Augen starrten blind ins Nichts. Er sah aus wie ein riesiger Fötus. Chan hätte ihn nicht mehr erkannt, wenn nicht jemand mit schwarzem Filzstift auf ein viereckiges Plastikschild am Fußende des Bettes geschrieben hätte: Higgins, James Malcolm, Senior Inspector, Royal Hong Kong Police Force.
    Blut drang aus dem rohen Fleisch seines Gesichts.
    Chan schluckte. »Warum …«
    »Weil er stirbt«, herrschte Cuthbert ihn an. Dann sah er den Arzt an.
    »Genau. Wenn er nicht mit Morphium vollgepumpt wäre, würde er so laut schreien, daß hier die Bude zusammenfällt. Wenn die Ablösung der Haut so weit fortgeschritten ist, können wir nichts mehr tun. Offen gestanden eine ziemlich unangenehme Art zu sterben.«
    Sie dirigierten Chan zu einem kleinen Raum auf der anderen Seite der Station. Auf den Regalen am hinteren Ende befanden sich Ordner, und auf dem Boden stand ein großer weißer Kasten mit einem roten Kreuz auf dem Deckel. In der Ecke entdeckte Chan ein Gerät, das aussah wie ein Sterilisierungsapparat. Kein Tisch und keine Stühle.
    Chan klapperten die Zähne; er sah Cuthbert bittend an. Der Politische Berater gab ihm die Packung Zigaretten zurück, die sie ihm bei seiner Festnahme abgenommen hatten.
    Die Zigarette zitterte in Chans Mund. »Was ist passiert?«
    Cuthbert starrte ihn an. »Das würden wir gern von Ihnen erfahren.«
    Chan suchte in seiner Tasche herum. Sie hatten ihm sein Feuerzeug gelassen, ein sicheres Zeichen dafür, daß es ihnen nichts ausmachte, wenn er Selbstmord beging. Er sah die Anwesenden einen nach dem anderen an. Sie wichen seinen Blicken nicht aus.
    Chan hatte genug Übung in Befragungen, um alle Anzeichen für Unaufrichtigkeit zu kennen: zorniges Erröten, ausweichende Blicke, Nervosität, Verwirrung, hängende Schultern, wildes Gestikulieren, verschränkte Arme, Übersprungshandlungen wie Kettenrauchen. Und schon nach wenigen Minuten hatte er selbst fast das ganze Repertoire durch. Er fragte sich, wie er sich verhalten würde, wenn er tatsächlich einmal ein Verbrechen beginge.
    »Sie machen einen Fehler.« Seine Stimme klang gleichzeitig gebrochen und undeutlich. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so unehrlich geklungen zu haben. »Ich weiß nichts.«
    Cuthbert wechselte einen Blick mit einem der Beamten. »Möglich. Aber wie erklären Sie sich Ihr wundersames Entkommen? Sie haben die Taucher an den Ort geführt, an dem Sie den Koffer angeblich gesehen haben. Sie haben ihn gefunden, aus dem Meer gezogen und, wie zu erwarten, geöffnet. Im

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