Die letzten Tage von Pompeji
Körper die Geliebte gegen den Aschenregen und den Blitz zu schützen. Die Schönheit und Selbstverläugnung der Liebe konnte also selbst die Stunde des Unglücks und Verderben heiligen.
»Wer ist hier?« fragte die zitternde und hohle Stimme eines Mannes, der noch vor ihnen diesen Zufluchtsort ausgesucht hatte. »Doch was liegt daran? Unter den Ruinen der Welt gibt es weder Freunde noch Feinde.«
Ione wandte sich bei dem Klang dieser Stimme um, schmiegte aber sich mit einem schwachen Schrei an die Brust des Glaukus, welcher, nach der Richtung, von der die Stimme herkam, blickend, sogleich die Ursache ihres Schreckens erkannte. Durch die Finsternis leuchteten zwei glühende Augen, ein Blitzstrahl erhellte den Tempel und Glaukus bemerkte mit Schaudern gerade unter den Pfeilern liegend den Löwen, welchem er hätte vorgeworfen werden sollen und dicht daneben lag, ohne seinen gefährlichen Nachbarn zu kennen, die riesige Gestalt des Gladiators Niger.
Bei dem hellen Blitze hatten das Thier und der Gladiator einander gesehen; doch war der Instinkt Beider ganz verändert. Der Löwe näherte sich dem Niger, wie einem alten Bekannten, und der Gladiator wich vor dem wilden Thiere nicht zurück. Die Revolution der Natur hatte nicht nur ihre gewohnten Bande aufgelöst, sondern es kamen auch ihre geringeren Schrecknisse gar nicht mehr in Betracht.
Indem sich die Flüchtlinge unter der Tempelhalle eines so furchtbaren Beschützers zu erfreuen hatten, zog eine Gruppe von Männern und Weibern, welche Fackeln trugen, an ihnen vorüber. Sie gehörten zur Sekte der Nazarener und eine erhabene, überirdische Begeisterung hatte ihnen jede Empfänglichkeit für die Furcht benommen. Sie waren dem Irrthum der ersten Christen zufolge schon längst der Meinung gewesen, daß der jüngste Tag bevorstehe, und jetzt glaubten sie fest, dieser Tag sei gekommen.
»Wehe! wehe!« rief mit lauter, durchdringender Stimme der Aelteste, welcher den Zug führte. »Sehet, der Herr steigt zum Gerichte hernieder! Er läßt Feuer vom Himmel fallen vor den Augen der Menschen! Wehe! wehe! ihr Starken und Mächtigen! Wehe euch, mit den Fasces und dem Purpurkleide! Wehe den Götzendienern und den Anbetern des Thieres! Wehe denen, die das Blut der Heiligen vergießen und über die Todesqualen des Sohnes Gottes frohlocken! Wehe der Hure des Meeres! Wehe! wehe!«
Unter den Schrecknissen der Natur stimmte jetzt der volle Chor in die letzten Worte ein: »Wehe der Hure des Meeres! Wehe! wehe!« Die Nazarener schritten langsam vorbei. Noch lange sah man den Glanz ihrer Fackeln und hörte ihre feierliche Warnung und Drohung, bis sie endlich in den Wendungen der Strafen verschwanden, worauf wieder Finsternis und Todesstille sich über die Scene verbreitete.
Jetzt ließ der Aschenregen etwas nach und Glaukus ermuthigte Ione zum Weitergehen. Während sie noch zaudernd auf der untersten Stufe des Portikus standen, wankte ein alter Mann, mit einem Beutel in der rechten Hand, und auf einen Jüngling sich stützend, vorbei. Der Jüngling trug eine Fackel. Glaukus erkannte die beiden als Vater und Sohn: der Vater war ein Geizhals und der Sohn ein Verschwender.
»Vater,« sagte der Jüngling, »wenn Du nicht schneller gehen kannst, so muß ich Dich zurücklassen, oder wir kommen Beide um!«
»Fliehe, Junge, fliehe, und verlasse Deinen Vater!«
»Aber ich kann nicht fliehen, um zu verhungern; gib mir Deinen Beutel voll Gold!« und der Jüngling streckte die Hand darnach aus.
»Elender! willst Du Deinen Vater berauben?«
»Nun, wer kann in dieser Stunde mich anklagen? Stirb, Du Geizhals!«
Der Sohn streckte den greisen Vater zu Boden, riß ihm den Beutel aus der Hand und eilte mit einem gellenden Schrei davon.
»O Götter!« rief Glaukus; »seid ihr denn auch blind in dieser Finsternis? Solche Frevelthaten werden den Schuldlosen mit dem Schuldigen ins Verderben stürzen. Auf, Ione, wir wollen weiter!«
Achtes Kapitel.
Glaukus und Ione begegnen dem Arbaces.
Mit der größten Vorsicht und ängstlich umherspähend, setzten Ione und ihr Geliebte ihren unsichern Weg fort. In den Augenblicken, wenn die vulkanischen Blitze über die Straßen hinzuckten, waren sie im Stande, bei dem furchtbaren Scheine derselben sich auf ihrem Pfade einigermaßen zu orientiren; jedoch vermochte das, was sie sahen, ihnen keinen großen Muth einzuflössen. An denjenigen Stellen, wo die Asche trocken und mit dem von dem Berge ausgeworfenen heißen Wasser nicht vermischt war, hatte die
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