Die letzten Tage von Pompeji
sogar Weinberge waren in Flammen gerathen, und zu verschiedenen Malen stieg ein wildes Feuer zu dem finstern, schwarzen Himmel auf. Um das Dunkel noch mehr zu überwältigen, hatten die Bürger da und dort, besonders an öffentlichen Plätzen, wie in den Säulengängen der Tempel und auf dem Forum, Reihen von Fackeln aufgesteckt, welche aber selten lang fortbrannten, indem der Wind und die Regengüsse sie auslöschten. Die plötzliche Finsternis, welche sodann auf das Erlöschen derselben folgte, hatte einen ganz eigenthümlich schauervollen Charakter, da sie dem Menschen die Unzulänglichkeit seiner Kräfte erst recht fühlbar machte.
Häufig begegneten bei dem momentanen Scheine dieser Fackeln große Schaare von Flüchtlingen einander, indem die einen nach dem Meere eilten, die andern von der See wieder nach dem Lande flohen; denn das Wasser hatte sich plötzlich von dem Ufer zurückgezogen; der Ocean war in dichteste Nacht eingehüllt und auf seinen tobenden und brausenden Wogen konnte man gegen den Aschen- und Steinregen nicht den Schutz finden, welchen die Straßen und Häuser auf dem Lande gewährten. Mit dem wilden, geisterhaften Ausdrucke der äußersten Angst und Verzweiflung begegneten diese Gruppen einander, aber ohne zu sprechen und ohne sich gegenseitig Raths zu erholen; denn die Regen- und Aschengüsse fielen jetzt häufiger, obwohl nicht anhaltend, erstickten die Lichter, welche einer jeden Gruppe die todtenähnlichen Gesichter der andern zeigte, während alle zusammen eine Zuflucht unter den nächsten Dächern suchten. Die Elemente des geselligen Zustandes waren völlig aufgelöst. Manchmal sah man einen Dieb an den höchsten obrigkeitlichen Personen, mit seiner Beute beladen, ängstlich vorübereilen. Wenn in der Finsternis die Gattin von dem Gatten oder die Mutter von dem Kinde getrennt wurde, so mußte man die Hoffnung auf Wiedervereinigung schwinden lassen. Kurz, es war eine blinde, verworrene Flucht. Von der künstlichen Maschine des gesellschaftlichen Lebens war jetzt nur noch das Triebwerk der Selbsterhaltung geblieben!
Mitten unter diesen Scenen des Schreckens bewerkstelligte auch der Athener, von Ione und dem blinden Mädchen begleitet, seine Flucht. Plötzlich begegnete ihnen eine, mehre hundert Personen starke, Gruppe, welche der See zueilte. Nydia ward von der Seite des Glaukus, der, nebst Ione, in das Gedränge hineingerieth, mit fortgerissen; und als der Schwarm (aus dem sich keine einzelne Gestalten unterscheiden ließen, so dicht war die Finsternis) vorübergezogen war, hatte Nydia ihre beiden Gefährten noch nicht wieder finden können. Glaukus rief ihren Namen. Keine Antwort. Sie kehrten zurück, vergebens; keine Spur von ihr ließ sich entdecken, denn ohne allen Zweifel hatte der Menschenstrom sie nach einer entgegengesetzten Richtung mit fortgerissen. Sie hatten in ihr eine Freundin, eine Beschützerin verloren; denn bis jetzt war Nydia ihre Führerin gewesen. Gerade vermöge ihrer Blindheit vermochte sie am leichtesten sich zurecht zu finden. Denn da sie von jeher die Straßen und Pfade der Stadt immer nur im Dunkel hatte gehen müssen, so konnte sie jetzt den Athener am sichersten zum Meeresufer leiten, wohin er seine Flucht zu nehmen beschlossen hatte. Welchen Weg sollt er nun einschlagen? Nirgends ein Licht, das ihm die Richtung gezeigt hätte! In der Verzweiflung eilte er indes mit Ione auf gerathewohl weiter, während sie von dem Aschenregen fortwährend überschüttet wurden, und zerbröckelte Steine vor ihren Füßen niederstürzten.
»Ach! ach!« jammerte Ione, »ich kann nicht weiter; meine Kniee brechen mir in der heißen Asche zusammen. Fliehe, theuerster Geliebter! Fliehe! und überlaß mich meinem Schicksale!«
»Muth, meine Braut! Der Tod mit Dir ist süßer, als das Leben ohne Dich! Doch wohin, wohin sollen wir uns wenden in dieser Finsternis? Ich glaube fast, wir haben nur einen Kreis beschrieben und sind jetzt gerade wieder an der Stelle, die wir vor einer Stunde verlassen.«
»O Götter! jenes Felsenstück hat das Dach neben uns zu Boden gerissen. Hier in den Straßen werden wir den Tod finden!«
»Gesegneter Blitz! Sieh, Ione, sieh! der Porticus des Tempels der Fortuna, steht gerade vor uns. Er wird uns gegen den Aschenregen schützen.«
Glaukus nahm seine Geliebte in die Arme und erreichte nicht ohne große Schwierigkeit und Anstrengung den Tempel. Er trug Ione in den sichersten Theil der Säulenhalle und beugte sich über sie her, um mit seinem eigenen
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