Die letzten Worte des Wolfs
nähern können, ohne Gewalt befürchten zu müssen.«
»Worauf willst du hinaus?«
Der Magier blieb unter einer ausladenden Fichte stehen und blickte hinauf ins Gewirr ihrer nadeligen Finger. »Darauf, daà er das Kind nicht fressen wollte oder töten oder sonstwie verletzen. Hätte er das gewollt, hätte er das gleich erledigen können, und niemand wäre schnell genug da gewesen, um ihn aufzuhalten. Er muà sehr einsam sein.«
»Einsam?«
»Ich habe noch nie von einem Gestaltwandler gehört, der sich so sehr mit den Gefühlen eines Liebespaares identifiziert, daà er das gezeugte Kind als sein eigenes betrachtet. Er möchte diese Kinder annehmen, sie herauslösen, sie vor irgend etwas bewahren. Ich weià auch nicht genau, was ihn umtreibt. Aber daà er nicht einfach nur ein Monster ist, das kleine Kinder friÃt, dessen bin ich mir ziemlich sicher. Ich habe die Worte gehört, die er in der Nacht sprach, und es war mehr Liebe in ihnen als HaÃ.«
»Eljazokad, wenn es einen Weg gibt, die Konfrontation mit Dasco zu verhindern, dann lasse ich dir freie Hand.«
»Viel kann ich da nicht machen.«
»Du könntest mit ihm reden. Von einem Magier zum anderen. Von einem Waffenverächter zum anderen.«
»Dazu ist es leider etliche tote Wölfe zu spät. Hellas hat ganze Arbeit geleistet. Aber ich will ihm nicht die Schuld geben. Höchstwahrscheinlich hat er mir das Leben gerettet, als ich ausgerutscht und hingefallen bin wie ein Idiot. Wir tragen alle Schuld an dem, was sich ereignet hat, und an dem, was sich noch ereignen wird.«
Als das Tageslicht das lautlose Ringen mit der Dämmerung zu verlieren begann, machten sie sich fertig zum Aufbruch. Noch bevor Alins sämtliche Pferde angeschirrt hatte, meldete Hellas Bewegung innerhalb des Waldes.
»Keine Flechtenwölfe diesmal«, erstattete er Bericht. »Sie sind kleiner, ich würde auf Wildhunde tippen. Vielleicht fünf oder sechs.«
»Zu wenig, um uns anzugreifen, wenn es schon mit über fünfzehn groÃen Wölfen nicht geklappt hat«, raunte Eljazokad Rodraeg zu. »Da lauert noch etwas in der Hinterhand.«
»Wir fahren los, dann sind wir ein schlechteres Ziel.« Rodraeg blickte den Kutscher fragend an. Der atmete durch, spuckte in die Hände und nickte. Am vorderen Ende der Deichsel hatte er eine brennende Laterne angebracht, so daà die Pferde auch in völliger Dunkelheit etwa zehn Schritte weit sehen konnten, ohne selbst geblendet zu werden.
»Daà wir keine Pfeile mehr haben, ist wirklich albern«, haderte Rodraeg mit sich selbst. »Mit einem gut ausgerüsteten Hellas auf dem Dach bräuchten wir uns kaum Sorgen zu machen.«
»Das ist Dascos Taktik«, vermutete Bestar. »Er will uns mürbe machen und um unsere Waffen bringen, weil er wie ein Mensch denkt und nicht wie ein Tier. Aber er täuscht sich. Wenn er auftaucht, werde ich es sein, der ihn angreift.«
»Bloà keine leichtsinnigen Handlungen, Bestar«, warnte ihn Rodraeg.
»Verlaà dich auf mich«, erwiderte der Klippenwälder grimmig. »Gestern nacht war ich nicht bei euch, als ihr in Gefahr wart. Jetzt bin ich dran.«
Rodraeg machte kein allzu zuversichtliches Gesicht, als die Kutsche endlich anruckte und die Zugpferde in einen leichten Trab übergingen.
Im dämmerigen Wald war keuchendes, gedämpftes Gebell zu hören. Mehrere schlanke, behende Leiber hielten mit der Kutsche Schritt. Besorgt schaute Rodraeg sich nach riesigen Spinnen um, die sich in den schattigen Baumwipfeln verbergen mochten. Dabei schalt er sich selbst einen Narren. Wie sollten diese Spinnen denn bis auf die gut zwanzig Schritt entfernte StraÃe gelangen? Indem sie sich an einem Faden hängend zur Kutsche hinüberschwangen?
Zusehends wurde es finsterer. Die Pferde trabten im schwankenden Laternenlicht. Die Kutsche schaukelte. Hellas lag auf allen vieren auf dem Kutschendach, hielt sich fest und spähte nach hinten und nach links und rechts. Denn im Gegensatz zu Bestar erwartete er einen Angriff durchaus auch von der dem Larnwald abgewandten Flanke.
Nichts geschah. Langsam legte sich die Aufgeregtheit des Kutschers und der Passagiere und ging in eine konzentrierte Nachtfahrt über. Der Mond schwamm als scharfgeschliffene Sichel in einem Inselmeer aus halb durchscheinenden Wölkchen. Die Mitternacht zog vorüber.
Dann, ohne Vorwarnung,
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