Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Worte des Wolfs

Die letzten Worte des Wolfs

Titel: Die letzten Worte des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
begann das Chaos.
    Aus dem Dunkel des Waldessaums löste sich eine unglaubliche Gestalt, ein massiger, zotteliger Tiermensch, der auf allen vieren lief, die längliche, wolfsartige Schnauze tief über dem Boden.
    Hellas schrie: »Der Werwolf! Er greift an!« – aber selbst er unterschätzte Schnelligkeit und Entschlossenheit des Untieres. Es gelang ihm, noch einen Pfeil abzuschießen, der auch traf, aber ebenso wirkungslos blieb wie ein Strohhalm gegen einen anstürmenden Auerochsen. Mit vier, fünf mächtigen Sätzen hatte das Wolfsungetüm die Distanz zur Kutsche überwunden, sprang hoch – und rammte mit ungeheurer Wucht gegen die Seitenkante des Daches. Die Kutsche wurde von ihren beiden rechten Rädern gehoben, schlingerte nur für den Bruchteil eines Augenblickes, und stürzte dann nach links hin um, während die Pferde den havarierten Holzkäfig immer noch weiter vorwärts rissen.
    Hellas flog lautlos und in hohem Bogen durch die Luft. Als seine Arme zehn Schritte weit im Grasland erstmals Bodenkontakt bekamen, wurde er von der eigenen Geschwindigkeit wieder emporgeschleudert und verwandelte sich in eine sich mehrmals überschlagende Jahrmarktsnummer, die in einem Wirbelsturm aus Grashalmen und Erdbrocken über die Ebene tobte.
    Bestar, der nach Hellas’ Warnungsruf sein Schwert hatte ziehen und sich aus der rechten Tür hatte stürzen wollen, sah die rechte Tür vor sich aufsteigen wie ein über ihn hinweggleitendes Fenster. Gleichzeitig kippten die Bänke, und Bestar verlor jeglichen Halt, bis der Aufprall ihn zur Seite hin gegen Rodraeg und Eljazokad zurückschleuderte, die verzweifelt versuchten, sich irgendwo festzukrallen, und bei der jetzt folgenden Rutschpartie über den schweren Sand der Straße nicht mit irgendeinem Körperglied aus dem Fenster und somit zwischen Kutsche und Straße zu geraten, um dort zermalmt zu werden.
    Alins Haldemuel nahm am wenigsten Schaden. Auf dem Kutschbock saß er – mit den Knien und dem Rücken festgeklemmt – dermaßen gut, daß er einfach mitsamt der Kutsche um neunzig Grad kippte und erst dann zäh und träge von seiner Bank zu Boden tropfte, als die Pferde endlich einsahen, daß sie ein auf der Seite schleifendes Fahrzeug nicht mehr weiterziehen konnten.
    Ruhe kehrte ein nach dem kurzen infernalischen Lärm. Die Räder auf der rechten Kutschenseite drehten nutzlos unter dem Himmel aus. Dann ertönte ein wütendes Brüllen, ein langgezogenes »Ahhhhhhhhrrrrrrrr!«. Die nach oben weisende Tür wurde von innen aufgedrückt, zwei kräftige Arme erschienen, Bestar stemmte sich hoch, stieg breitbeinig auf den Türrahmen, zog sein Schwert und sah sich um, knurrend wie ein Tier.
    Die Nacht war heller als die vorige, die Wolken bildeten diesmal keine Decke, sondern waren in Einzelteile zersplittert. Bestar konnte dreißig, vierzig Schritte weit sehen. Den Pferden schien es gut zu gehen, und er atmete ruhiger. Die Laterne vorne schwang hin und her, warf ein in sich selbst kreisendes, unsinniges Licht. Alins rieb sich neben der Kutsche ächzend die Knie und das Gesäß. Zwischen der gekenterten Kutsche und dem Waldessaum kauerte etwas Großes auf der Straße.
    Bestar sprang von der Kutsche. Hob sein Schwert und ging darauf zu. »Zeigst du dich also endlich selber, du furchtsames Ungeheuer. Hast du dich schon mal mit jemandem aus Taggaran angelegt? Ich glaube nicht, sonst wärst du wahrscheinlich nicht mehr am Leben.«
    Hinter Bestar mühte Rodraeg sich schnaufend aus der Kutschentür. Eljazokad lag immer noch benommen im Innern und versuchte, sich nicht zu übergeben, nachdem er beim Aufprall heftigst mit dem Kopf gegen die Seitenwand geknallt war. Das schattige Ding vor Bestar grollte. Von Hellas war weit und breit nichts zu sehen. »Bestar, mach keine Dummheiten!« rief Rodraeg mit matter Stimme. Auch ihm war schwindelig, und jeder einzelne Knochen im Körper fühlte sich verdreht an. »Er hat eine fahrende Kutsche umgekippt, du glaubst doch wohl nicht wirklich, daß du ihm standhalten …«
    Weiter kam er nicht, denn Bestar hörte ihm gar nicht zu. »Jetzt lernst du die Stoßzähne des Mammuts kennen!« schrie der Klippenwälder statt dessen und stürzte sich auf den angeschlagen wirkenden Gegner. Doch der richtete sich plötzlich zu seiner vollen, Bestar deutlich überragenden Größe auf,

Weitere Kostenlose Bücher