Die letzten Worte des Wolfs
Eljazokad. Rodraeg merkte, daà Widerspruch zwecklos war. Natürlich wollten sie auf ihn aufpassen, damit er nicht wieder blutspuckend zusammenklappte.
Sein Kopf war so voller Gedanken und Sorgen, daà er sich fast wünschte, das Ganze so ausspeien zu können wie Blut. Er dachte über Quellen nach, über Gimon Achildeas Theorie. So genau wie möglich versuchte er sich die Worte, die der weise Terreker ihm vor einem Mond erzählt hatte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Das Meer, das Wasserchaos, war der Ursprung. Zu diesem hatte ihn der Kreis nun geführt, nachdem die Quelle des Elementes Erde, die Schwarzwachsquelle, ihn berührt, durchdrungen und vergiftet hatte. Gestern hatte er Quellenwasser getrunken, Quellenwasser aus dem Gebirge, das Kjeer, dem Gott der Erde, geweiht war. Vielleicht war Rodraegs Theorie, daà er in Kuellen an den Quellen des Wassers gelebt hatte, doch zu simpel, zu kindisch gewesen. Vielleicht war das ganze System viel komplizierter, die vier Quellen, ihre Hinweise darauf, ihr Einwirken auf Rodraeg viel mehr eine Abfolge winziger Details. Wenn man nicht ununterbrochen auf der Hut war, verpaÃte man Wichtiges. Kuellen: Wasser. Der Quellenkiesel, den Reyren ihm zum Abschied geschenkt hatte: Erde im Wasser. Die Schwarzwachsquelle: Erde, aber flüssig wie Wasser. Das Meer: Wasser. Nerassâ Kjeerklippenwasser: Wasser aus geweihter Erde. Die Wale? Leben aus Wasser? Der Werwolf? Ein Walfisch des Landes?
Ihn schwindelte. Zuviel. Zu viele Möglichkeiten. Zu wenig Anhaltspunkte. Das Nachdenken glich eher einem Absturz als einer Kletterpartie.
Er muÃte sich verengen, auf das Meer, das genau vor ihm lag, auf die Wale, die auf ihn zukamen, auf die drei Gefährten, die um ihn herumstanden und ihn aufmerksam und sorgenvoll musterten. Er straffte sich und atmete durch. Es ging ihm schon wieder besser.
»Bestar, du solltest morgen nicht mehr arbeiten, das bringt zu wenig. Halte dich besser frei beweglich in den Häfen auf, gehe hin und her. Vielleicht laufen morgen Schiffe ein, vielleicht kannst du die von Bord gehende Besatzung befragen. Die Wale sind morgen nur noch einen oder zwei Tage entfernt, möglicherweise sind sie von Bord eines Schiffes aus sogar schon gesichtet worden.«
»Wird gemacht.«
»Hellas, du hast völlig freie Hand. Noch mal Teoch oder nicht, noch mal Haie oder nicht. Vielleicht fällt dir aber auch noch etwas ganz anderes ein.«
»Ich wollte Ohters Krabbenfischer ein wenig in Augenschein nehmen«, schlug der Bogenschütze vor. »Wir haben Ohter von Anfang an ausgeklammert, aber jetzt, wo es ja nicht mehr darum geht, Magie zu unterbinden, sondern die Wale aufzuhalten, können wir jede Unterstützung brauchen.«
»Sehr gut, mach das. Paà nur auf, daà du nicht mit Gardisten aneinandergerätst.«
»Darauf passe ich immer auf.«
»Gut. Eljazokad und ich erkunden alles, was uns sonst noch in den Sinn kommt. Viel ist das, ehrlich gesagt, nicht mehr. Ich gehe davon aus, daà wir uns morgen einen Weg überlegen müssen, die Stadt zu warnen und auf die Beine zu bringen, ohne daà wir selbst dabei auf der Bühne erscheinen.«
Hellas und Eljazokad nickten. Bestar wirkte unruhig und zerrissen. Zwar entschlossen, etwas zu unternehmen, aber von Sorge um Rodraeg beschwert.
Rodraeg fühlte sich plötzlich auf eine unerklärliche Art und Weise geborgen. Es war gut möglich, daà er an dieser Vergiftung zugrunde ging. Aber er war immerhin von Menschen umgeben, die er mochte, denen er vertraute und denen er ebenfalls nicht ganz gleichgültig war. Das war schon besser, als ein im Rathaus arbeitender Junggeselle im ereignislosen Kuellen zu sein, der in einem Wirtshaus lebte, in seiner Freizeit alleine mit dem Säbel seines Onkels im Larnwald spazierenging und der mit seinem besten Freund schon seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte.
Wenn doch nur Naenn hier wäre. Wenn doch nur Naenn öfter bei ihm und den anderen wäre.
Hätte ich Ryot Melron so zusammengeschlagen, wie er es verdiente, dann wäre Naenn jetzt hier.
Verrückt, wie aus dem einen das andere erwuchs.
Er blickte den Strand entlang. Hier trafen Wasser und Erde aufeinander, rangen miteinander in einem sanften Gefecht der Gezeiten. Nicht wie Feinde, eher wie Liebende. Es lag eine Antwort hierin auf alles, was den Kontinent quälte, aber sie war nicht so einfach und eindeutig, wie ein sterbender Mensch sich
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