Die Leute mit dem Sonnenstich
aufzutreten!«
Die Herren schienen gänzlich vergessen zu haben, daß Barbara dabeistand und der interessanten Szene mit großer Spannung folgte.
»Sie sind zu weit gegangen, Steffen! Sie sind entschieden zu weit gegangen!« sagte Herr Keyser verstört und horchte ängstlich nach der Hütte hin, in der sich nichts rührte.
Steffens Zeigefinger stach heftig in die Luft: »Nicht weit genug! Lange nicht weit genug! Denn um es rundheraus auszusprechen: es ist eine Schande, wie Sie Ihre Tochter verwöhnt und verzogen haben! Wie Sie sich von ihr auf der Nasens-pitze herums-pringen lassen! Wie Sie ihr in allem und jedem nachgeben!«
»Herr Steffen!« begehrte Herr Keyser mannhaft auf und bewegte die rechte Hand auf und nieder, als schwänge er in einer Aufsichtsratssitzung die Präsidentenglocke, um Ruhe zu gebieten. »Sie haben die arme Kleine schwer beleidigt!« Er erhob sich ächzend, ging drei Schritte rückwärts und horchte, die linke Hand muschelförmig ans Ohr gelegt, zur Hütte hin, wo er ein Schluchzen zu vernehmen glaubte.
»Ah! Und nun wollen Sie die >arme Kleine< womöglich noch trösten gehen?« höhnte Herr Steffen, den alle guten Geister verlassen und bei dem sich alle Bande frommer Scheu gelöst hatten. »Bitte, laufen Sie! Eilen Sie! S-puten Sie sich!«
Herr Keyser holte tief Luft und maß seinen Juniorpartner von oben herab mit einem Blick von königlicher Würde.
»Sie werden mir wohl nicht vorschreiben wollen, junger Mann, was ich als Vater in diesem Falle zu tun habe! Ich habe mich lange von Ihnen düpieren lassen, und ich habe lange gebraucht, um Ihr wahres Wesen zu erkennen. Es unterscheidet sich — merken Sie auf! — in nichts von der rohen Denkungsart, die Sie an einem anderen Herrn auszusetzen beliebten. Und ich will Ihnen noch eines sagen, Herr! Sie haben in mir bis zu dieser Stunde einen väterlichen und gütigen Freund gehabt. Gehabt! Verstehen Sie? Denn von jetzt an sind wir nichts als Geschäftspartner!«
Sprach’s und schlug die Tür der Hütte hinter sich gleichfalls geräuschvoll zu.
Barbara stand dabei und schüttelte nur den Kopf. Es war zu merkwürdig. Ein Krach folgte dem anderen. Es krachte auf dieser Unglücksinsel an allen Ecken und Enden. Lag es am Boden? Lag es an der Atmosphäre? Sollte es tatsächlich auf der alten Erde solch böse Stellen und Plätze geben, an denen irgendeine Ausstrahlung das Lamm zum reißenden Wolf, den Friedfertigen zum Wüterich machte, den Mäßigkeitsapostel zum Trunkenbold und den Sanftmütigen zum brüllenden Löwen? Dieser harmlose Kieshaufen in der Donau wurde ihr allmählich unheimlich.
Mit Steffens Kühnheit und Kampfesmut schien es allerdings vorbei zu sein. Er blieb, von Weidenzweigen sanft umwedelt, auf der Stelle seines großen Monologs sitzen, ließ die Hände in den Schoß fallen und das Kinn auf die Brust sinken. Nun war für ihn wirklich alles aus. Endgültig und für alle Zukunft. Mit Marion und seinen Hoffnungen schon ganz und gar. Das war ihm ja aber auch nicht mehr allzu neu. Daß es aber auch zwischen ihm und dem sonst so liebenswürdigen und ihm freundschaftlich zugetanen Vater Marions einen bösen Riß gegeben hatte, das war besonders hart und schmerzlich.
Er fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn, tappte blindlings zwei oder drei Schritte vorwärts und ließ sich, kaum daß er sich erhoben hatte, wieder am Uferrand nieder, zerbrochen und wie vermöbelt. Das kühle Wasser umspülte seine Füße. Aus der Tiefe drang das summende Rauschen des Geschiebes herauf, des Sandes und der feinen Geröllteilchen, die der angeschwollene Strom mit sich führte, um die mühsam von Menschenhand ausgebaggerten Fahrrinnen wieder einzuebnen. Und an den Weidenzweigen zupfte der Wind wie an Harfensaiten.
Eine Mücke setzte sich auf seine Hand. Sonst hatte er immer solch eine Furcht vor Blutvergiftung oder vor der Übertragung von Krankheiten. Nun starrte er düster auf das Insekt herab und sah geistesabwesend zu, wie der Mücke dürrer, fadenschlanker Leib von seinem Blut rot und schwer wurde. Er war zu vernichtet und zu müde, um den kleinen gefräßigen Räuber zu verscheuchen.
Er bemerkte auch Barbara nicht, die leise zu ihm trat und sich neben ihm niederließ. Oder er nahm sie nur mit der Schale seines Bewußtseins wahr. Ihr Bild blieb in der Netzhaut seines Auges hängen, ohne weiter in ihn einzudringen.
»Eigentlich bin ich Ihnen einen Kuß schuldig, Herr Steffen«, sagte Barbara leise; »aber vielleicht genügt es Ihnen
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