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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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bin ich auch zu stolz, um anzunehmen, dass man dich überreden müsse. Entweder, du kommst als Kampfgefährtin zu mir, als jemand, der wahrhaft und frei liebt, Soldat zu Soldat - oder du tust es nicht. Wie reagierst du? Wirst du plötzlich ungeduldig und willst ins Astral Commercial and Private Hotel in der Nähe des Bahnhofs zurück?«
    Sie starrte ihn an, dann wandte sie den Blick ab. Ihr lag ein halbes Dutzend witziger Antworten auf der Zunge, doch sie unterdrückte sie. Die mit der Kapuze verhüllte völlig isolierte Gestalt an dem Wochenendseminar war plötzlich wieder etwas Abstraktes für sie. Joseph, nicht der Fremde, hatte die Frage gestellt. Was sollte sie schon sagen, da sie in ihrer Vorstellung doch bereits zusammen im Bett lagen, Josephs Kopf mit dem kurz geschnittenen Haar auf ihrer Schulter ruhte, Josephs kräftiger, narbenbedeckter Körper neben ihr ausgestreckt war und sie versuchte, seine wahre Natur aus ihm herauszuholen? »Schließlich, Charlie - du selbst hast es uns erzählt -, bist du mit vielen Männern für weniger ins Bett gegangen, würde ich meinen.«
    »Oh, für wesentlich weniger«, pflichtete sie ihm bei und interessierte sich plötzlich für den Salzstreuer aus Plastik.
    »Du trägst seinen teuren Schmuck. Du bist allein in einer trostlosen Stadt. Es regnet. Er hat dich verzaubert - hat der Schauspielerin geschmeichelt und die Revolutionärin begeistert. Wie könntest du ihm einen Korb geben?«
    »Mich auch noch zum Essen ausgeführt«, erinnerte sie ihn. »Selbst wenn ich grade kein Fleisch aß.«
    »Es ist alles, was eine gelangweilte Europäerin sich erträumen könnte, oder?«
    »Jose, um Himmels willen«, flüsterte sie, nicht einmal imstande, ihn anzusehen.
    »Also dann«, sagte er munter und schnippte nach der Rechnung. »Gratuliere. Du bist also endlich deinem Seelenfreund begegnet.« Eine geheimnisvolle Brutalität machte sich plötzlich in seinem Verhalten bemerkbar. Sie hatte das lächerliche Gefühl, dass ihre Einwilligung ihn geärgert hatte. Sie beobachtete, wie er bezahlte, sah ihn die Rechnung einstecken. Hinter ihm trat sie in die Nachtluft hinaus. Ich bin das doppelt-versprochene Mädchen, dachte sie.
    Wenn du Joseph liebst, nimm Michel. Er hat mich an sein Phantom im Theater der Wirklichkeit verkuppelt.
    »Im Bett vertraut er dir an, dass er in Wirklichkeit Salim heißt, aber das ist ein großes Geheimnis«, sagte Joseph wie beiläufig, als sie ins Auto stiegen. »Er zieht Michel vor. Teils aus Sicherheitsgründen, teils weil er schon leicht in die europäische Dekadenz verliebt ist.«
    »Salim gefällt mir besser.« »Aber du sagst Michel zu ihm.«
    Genau, was auch immer ihr alle sagt, dachte sie. Doch ihre Passivität war trügerisch, sogar für sie selbst. Sie spürte, wie Empörung sich in ihr regte, noch tief unten, aber höher, immer höher stieg.
    Das Motel sah aus wie ein niedriger Fabrikbau. Zuerst fanden sie keinen Platz zum Parken; dann rumpelte ein weißer Volkswagenbus ein Stück voran, um ihnen Platz zu machen, und flüchtig sah sie die Gestalt von Dimitri am Steuer. Die Orchideen an sich gedrückt, wie Joseph es ihr aufgetragen hatte, wartete sie, während er seinen roten Blazer überzog, um ihm dann - allerdings zögernd und auf Distanz bedacht - über den Asphalt zum Eingang zu folgen. Joseph trug außer ihrer Schultertasche auch noch seine elegante schwarze Reisetasche. Gib her, das ist meine. In der Halle sah sie aus dem Augenwinkel Raoul und Rachel unter der schaurigen Leuchtröhre stehen und Anschläge über Touren für morgen studieren. Sie funkelte sie an. Joseph ging zur Rezeption, und jetzt kam sie näher, um zuzusehen, wie er sich eintrug, obwohl er ihr eingeschärft hatte, es nicht zu tun. Arabischer Name, Staatsbürgerschaft libanesisch, Adresse eine Apartment-Nummer in Beirut. Sein Benehmen herablassend: ein Mann von Rang, bereit, jederzeit beleidigt zu sein. Du bist gut, dachte sie trübsinnig und versuchte, ihn zu hassen. Keine überflüssigen Gesten, aber viel Stil; du machst dir die Rolle zu eigen. Der gelangweilte Nachtportier bedachte sie mit einem lüsternen Blick, zeigte aber nicht die Respektlosigkeit, die ihr vertraut war. Der Hausdiener lud ihr Gepäck auf einen riesigen Klinik-Rollwagen. Ich trage einen blauen Kaftan und ein Goldarmband und Wäsche von Persephone, München; der erste Bauer, der mich ein Flittchen nennt, kann was erleben! Joseph nahm ihren Arm, und seine Hand versengte ihre Haut. Sie machte sich von ihm frei.

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