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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Gesichtsausdruck zeigte. Er war jemand vom Rest der Welt und für sie zu nichts nutze. Ein schlanker, gefährlich-friedlicher junger Mann mit dunklen, kein Wässerchen trübenden Augen. Er trug einen braunen Gabardine-Trenchcoat mit militärischen Schulterklappen, die den Zivilisten-Schultern Breite verleihen sollten. Und einen braunen Schlips, passend zur Augenfarbe, die wiederum zum Trenchcoat passte. Durchaus nicht ein Mann der Gerechtigkeit, zu diesem Schluss kam sie - eher der verweigerten Gerechtigkeit. Ein vierzigjähriger Gabardine-Junge, der frühzeitig seiner Gerechtigkeit beraubt worden war.
    »Miss Charlie?«
    Und ein kleiner, überfütterter Mund in einem blassen Kinnbereich. »Ich möchte Ihnen Grüße von unserem gemeinsamen Bekannten Michel überbringen, Miss Charlie.«
    Charlies Gesicht hatte sich verhärtet, wie bei jemand, der sich gegen eine Bestrafung wappnet. »Michel wer?« fragte sie -und sah, wie nichts in ihm sich rührte, was wiederum sie ganz still werden ließ, so wie wir vor Bildern und Plastiken und regungslosen Polizisten still werden.
    »Michel aus Nottingham, Miss Charlie.« Der Schweizer Tonfall bekümmert und leicht anklagend. Die Stimme belegt, als ob Gerechtigkeit eine Geheimsache sei. »Michel hat mich gebeten, Ihnen goldene Orchideen zu schicken und Sie für ihn zum Essen auszuführen. Er möchte unbedingt, dass Sie mitkommen. Bitte. Ich bin Michels Freund. Kommen Sie.«
    Du? dachte sie. Ein Freund? Einen Freund wie dich hätte Michel nie, nicht einmal, um sein Scheiß-Leben zu retten. Doch das sagte sie nur durch das wütende Funkeln ihrer Augen.
    »Außerdem ist mir die Aufgabe übertragen worden, Michel vor Gericht zu vertreten, Miss Charlie. Michel hat ein Recht auf den vollen Schutz des Gesetzes. Kommen Sie, bitte. Jetzt.« Die Geste kostete sie große Anstrengung, doch das wollte sie auch. Die Orchideen waren schrecklich schwer, und es war ein langer Weg, sie durch die Luft von ihrer Hand in seine zu befördern. Aber sie schaffte es; sie hatte Mut und Kraft wieder gefunden, und seine Hände kamen in die Höhe, um die Blumen in Empfang zu nehmen. Außerdem traf sie den richtigen kessen Ton für die Worte, die sie beschlossen hatte zu sagen.
    »Sie sind in der falschen Vorstellung«, sagte sie. »Ich kenne keinen Michel aus Nottingham, ich kenne überhaupt keinen Michel. Und ich kann mich auch nicht erinnern, Ihnen während der letzten Saison in Monte begegnet zu sein. Netter Versuch, aber ich bin müde. Bin euch alle leid.«
    Während sie sich noch der Rezeption zuwandte, um ihren Schlüssel zu nehmen, ging ihr auf, dass Humphrey, der Nachtportier, sich in einer hochwichtigen Angelegenheit an sie wandte. Sein glasiertes Gesicht zuckte, und er hielt einen Bleistift schreibbereit über eine große Kladde gezückt.
    »Ich habe gefragt«, blubberte er verächtlich in seiner fisteligen und gedehnten nordenglischen Sprechweise, »um welche Zeit Sie Ihren Morgentee möchten, Miss?«
    »Um neun, mein Lieber. Aber keine Sekunde früher.« Abgespannt wandte sie sich zur Treppe. »Zeitung, Miss?« fragte Humphrey.
    Sie drehte sich um und sah ihn missmutig an. »Himmel«, flüsterte sie.
    Humphrey war plötzlich ganz aufgeregt. Er schien der Ansicht zu sein, nur sprühende Lebendigkeit könne sie aufwecken. »Morgenzeitung! Zum Lesen! Was ist Ihre Lieblingszeitung?«
    »Die Times , mein Lieber«, sagte sie.
    Humphrey versank wieder zufrieden in seiner Apathie. »Also Telegraph «, sagte er beim Schreiben. »Die Times gibt’s nur auf Vorbestellung.« Inzwischen hatte sie bereits begonnen, sich die Treppe zur historischen Dunkelheit des Treppenabsatzes hinaufzuschleppen. »Miss Charlie!« Wenn du mich noch einmal auf diese Weise rufst, dachte sie, könnte es sein, dass ich ein paar Stufen runterkomme, um dir eins über deinen glatten Schweizer Gebirgspass zu geben. Sie machte zwei weitere Schritte, ehe er wieder sprach. So viel Energie hatte sie ihm gar nicht zugetraut. »Michel wird sehr erfreut sein zu erfahren, dass Rosalinde heute Abend sein Armband getragen hat. Und, wie ich meine, noch trägt. Oder ist es das Geschenk eines anderen Herrn?« Erst wandte sich ihm oben von der Treppe ihr Gesicht, dann ihr ganzer Körper zu. Er hatte die Orchideen in die linke Hand genommen; der rechte Arm hing herunter wie ein leerer Ärmel. »Ich habe gesagt: fort! Gehen Sie. Bitte - einverstanden?« Aber sie sprach gegen ihre eigene Überzeugung, wie ihr Stocken schon verriet.
    »Michel hat mir

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