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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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leichten Heben der Hand grüßten. Sie kamen an einen Kontrollpunkt, wo der vorn sitzende Leibwächter das Fenster herunterkurbelte und aus seiner MP einen Feuerstoß ins Dunkel abgab; die einzige Antwort war ein erschrockenes Mähen von Schafen. Ein letztes Mal schössen sie mit einem schreckenerregenden Satz ins Schwarze zwischen zwei Scheinwerferpaaren hindurch, die voll auf sie gerichtet waren, doch inzwischen war sie darüber hinaus, in Panik zu geraten; ihr zitterten die Knie, sie war fix und fertig, und ihr war alles egal. Der Wagen hielt; sie war im Vorhof einer alten Villa mit Wachen im Kindesalter, die mit ihren Maschinenpistolen wie in einem russischen Film als Silhouetten auf dem Dach posierten. Die Luft war kalt und rein und voll von all den griechischen Gerüchen, die der Regen nicht hatte vertreiben können -Zypressen und Honig und alle Wildblumen auf Erden. Der Himmel war voller Stürme und rauchender Wolken; in kleiner werdenden Lichtfeldern erstreckte sich unter ihnen das Tal. Sie führten sie durch einen Vorbau in die Halle, und dort, im Licht besonders dämmriger Deckenlampen, sah sie ihn zum ersten Mal: Unseren Captain, eine braune, zur Seite geneigte Gestalt mit einem strähnigen schwarzen Schopf wie ein Schuljunge und einem englisch aussehenden Spazierstock aus Naturesche als Stütze für seine hinkenden Beine und einem Willkommenslächeln, das sein pockennarbiges Gesicht verzog. Um ihr die Hand zu schütteln, hängte er den Spazierstock über den linken Unterarm und ließ ihn herabbaumeln, so dass sie das Gefühl hatte, ihn einen Moment stützen zu müssen, ehe er sich wieder aufrichtete.
    »Miss Charlie, ich bin Captain Tayeh. Ich begrüße Sie im Namen der Revolution.«
    Seine Stimme war munter und sachlich und schön - wie die Josephs. Angstmachen gehört zur Prüfung , hatte Joseph sie gewarnt. Leider kann man niemand ständig Angst machen. Aber bei Captain Tayeh, wie er sich nennt, musst du dein Bestes geben, denn Captain Tayeh ist ein kluger Mann.
    »Verzeihen Sie«, sagte Tayeh mit fröhlicher Heuchelei. Das Haus gehörte nicht ihm, denn er konnte nichts finden. Selbst für einen Aschenbecher musste er in der Dunkelheit umhertappen und sich bei allen möglichen Dingen humorvoll fragen, ob sie wohl zu wertvoll seien, um benutzt zu werden. Dennoch gehörte das Haus jemand, den er mochte, denn sie beobachtete eine gewisse Freundlichkeit in seinem Verhalten, die besagte: Typisch für sie - ja, genau dort müssen sie ihre Getränke aufbewahren. Die Beleuchtung war immer noch äußerst schwach, doch als ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, kam sie zu dem Schluss, dass sie sich im Haus eines Gelehrten befinden müsse oder dem eines Politikers oder Rechtsanwalts. Die Wände waren über und über mit Büchern bedeckt, die auch wirklich gelesen, durchgebogen und nicht zu ordentlich wieder ins Regal zurückgestellt worden waren; überm Kamin hing ein Bild, das eine Darstellung Jerusalems sein konnte. Alles andere war ein männliches Durcheinander vieler Geschmacksrichtungen: Ledersessel und Patchworckissen und ein kunterbuntes Durcheinander von Orientteppichen. Dazu Einzelstücke arabischen Silbers, sehr weiß und überladen, die wie Schatzkästchen aus dunklen Nischen blinkten. Zwei Stufen tiefer in einem Alkoven ein Extra-Arbeitszimmer mit einem Schreibtisch im englischen Stil und einem panoramaartigen Blick über das Tal, aus dem sie gerade heraufgekommen war, und über die im Mondlicht daliegende Küste. Sie saß dort, wo er ihr bedeutet hatte, sich hinzusetzen - auf dem Ledersofa. Tayeh selbst humpelte immer noch, ohne sich zu schonen, am Stock durch den Raum, machte alles nacheinander, während er sie aus verschiedenen Gesichtswinkeln musterte, ihr Maß nahm; jetzt die Gläser; jetzt ein Lächeln; dann - mit einem weiteren Lächeln - Wodka; und schließlich Scotch, offenbar seine Lieblingsmarke, denn er studierte anerkennend das Etikett. An jedem Ende des Raums saß - eine Maschinenpistole über den Knien - ein Junge. Ein Stoß Briefe war über den Schreibtisch verstreut; auch ohne hinzusehen, wusste sie, dass es ihre Briefe an Michel waren. Mach nicht den Fehler, Unordnung mit Inkompetenz gleichzusetzen , hatte Joseph sie gewarnt; bitte keine rassistischen Vorurteile, Araber wären etwa inferior .
    Die Lampen gingen ganz aus, doch das taten sie oft, selbst unten im Tal. Von dem riesigen Fenster eingerahmt, stand er aufragend über ihr, ein wachsam lächelnder Schatten, der sich auf einen

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