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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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beide Seiten des Gesprächs mitgehört, um ein Gefühl für diesen Mann zu bekommen.
    »Ruth war eine meiner besten Studentinnen«, bemerkte der Professor, als habe er einen schweren Verlust erlitten.
    »Eine der besten ist sie bei uns ganz gewiss auch«, sagte Kurtz geradezu überschwenglich. »Herr Professor, sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, was für eine Art Arbeit Ruthie bei uns verrichtet?«
    Eigentlich war Minkel nicht gewohnt, Fragen zu beantworten, die außerhalb seines Fachbereichs lagen, und so musste er einen Moment überlegen, ehe er antwortete.
    »Ich habe das Gefühl, ich sollte etwas sagen«, meinte er linkisch und entschlossen zugleich.
    Kurtz lächelte einladend. »Falls es bei Ihrem Besuch hier bei mir um die politischen Ansichten - Sympathien - von Studenten oder ehemaligen Schülern von mir geht, so bedaure ich, nicht mit Ihnen zusammenarbeiten zu können. Denn das sind Kriterien, die ich als nicht legitim betrachte. Diese Diskussion haben wir schon mal gehabt, tut mir leid.« Er schien plötzlich peinlich berührt sowohl von seinen Gedanken als auch von seinem Hebräisch. »Ich stehe hier für etwas, und wenn wir für etwas stehen, dürfen wir kein Blatt vor den Mund nehmen; doch am wichtigsten ist das Handeln. Dafür stehe ich ein.«
    Kurtz, der die Unterlagen über Minkel gelesen hatte, wußte ganz genau, wofür er einstand. Er war ein Anhänger Martin Bubers und Angehöriger einer weitgehend in Vergessenheit geratenen idealistisch ausgerichteten Gruppe, die zwischen den Kriegen der Jahre ‘67 und ‘73 für einen echten Frieden mit den Palästinensern eingetreten war. Die Rechten nannten ihn einen Verräter; und wenn man sich in diesen Tagen überhaupt an ihn erinnerte, konnte ihm das gleiche auch von den Linken passieren. Er war das Sprachrohr der jüdischen Philosophie, die Autorität auf dem Gebiet des frühen Christentums, der verschiedenen humanistischen Strömungen in seiner Heimat Deutschland und auf noch dreißig anderen Gebieten; er hatte ein dreibändiges Werk über Theorie und Praxis des Zionismus geschrieben, dessen Stichwortregister allein so dick war wie ein Telefonbuch.
    »Herr Professor«, sagte Kurtz. »Ich bin mir durchaus darüber im klaren, welchen Standpunkt Sie in diesen Dingen einnehmen, und ich habe keineswegs die Absicht, mich in irgendeiner Weise in Ihre achtbaren moralischen Ansichten einzumischen.« Er hielt inne, ließ seinem Gegenüber Zeit, sich diese Zusicherung zu eigen zu machen. »Ich darf übrigens doch wohl davon ausgehen, dass es bei Ihrem bevorstehenden Vortrag an der Universität Freiburg gleichfalls um das Thema der Rechte des einzelnen geht, oder? Die Araber - ihre Grundfreiheiten -, ist das nicht das Thema, über das Sie am Vierundzwanzigsten sprechen wollen?« Das konnte der Professor nicht durchgehen lassen. Mit schlampigen Definitionen wollte er nichts zu tun haben. »Mein Thema bei der Gelegenheit ist ein anderes. Es geht dabei um die Selbstverwirklichung des Judaismus nicht durch Eroberung, sondern durch die Beispielhaftigkeit jüdischer Kultur und Moral.«
    »Um was geht es denn dabei genau?« erkundigte sich Kurtz huldvoll.
    Minkels Frau kehrte mit einem Tablett voller selbstgebackener Kekse zurück. »Sollst du wieder denunzieren?« wollte sie wissen. »Falls er das will, schlag es ihm ab! Und wenn du nein gesagt hast, sag wieder nein, bis er es hört. Was kann er denn mit dir machen? Glaubst du, er schlägt dich mit dem Gummiknüppel?«
    »Frau Minkel, ein solches Ansinnen an Ihren Gatten liegt mir völlig fern«, sagte Kurtz ungerührt.
    Mit einem Blick, der rundheraus als ungläubig bezeichnet werden muss, zog Frau Minkel sich nochmals zurück. Minkel jedoch machte kaum eine Pause. Falls er die Unterbrechung überhaupt mitbekommen hatte, übersah er sie. Kurtz hatte eine Frage gestellt, und Minkel, der nicht akzeptieren konnte, dass sich irgendein Hindernis dem Wissen entgegenstellte, wollte sie ihm beantworten.
    »Ich werde Ihnen genau sagen, um was es geht, Herr Spielberg«, erwiderte er mit geradezu feierlichem Ernst. »Solange wir einen kleinen jüdischen Staat haben, können wir als Juden demokratisch weiter auf unser Ziel, die jüdische Selbstverwirklichung, zugehen. Haben wir aber erst einmal einen größeren Staat, in dem auch viele Araber leben, müssen wir uns entscheiden.« Mit seinen alten, gefleckten Händen zeigte er Kurtz, um was es ging. »Auf dieser Seite: Demokratie ohne jüdische Selbstverwirklichung. Und auf

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