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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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jener: jüdische Selbstverwirklichung ohne Demokratie.«
    »Und wo liegt dann die Lösung, Herr Professor?« erkundigte sich Kurtz. Mit einer wegwerfenden Geste gelehrtenhafter Ungeduld hob Minkel die Hände in die Höhe. Er schien völlig vergessen zu haben, dass Kurtz nicht sein Schüler war.
    »Das ist ganz einfach! Ziehen wir uns aus dem Gaza-Streifen und von der West-Bank zurück, ehe wir unsere Werte verlieren! Welche andere Lösung gibt es?«
    »Und wie reagieren die Palästinenser selbst auf diesen Vorschlag, Herr Professor?«
    Ein bekümmerter Zug trat an die Stelle von Professor Minkels bisheriger Zuversicht. »Sie schimpfen mich einen Zyniker«, sagte er.
    »Ach, wirklich?«
    »Ihnen zufolge will ich sowohl den jüdischen Staat als auch Mitgefühl und das Verständnis der Welt. Deshalb, behaupten sie, sei ich, was ihre Sache betreffe, subversiv.« Die Tür ging wieder auf, und Frau Minkel trat mit Kaffeekanne und Tassen ein. »Aber ich bin nicht subversiv«, sagte er Professor verzagt -weiter kam er allerdings nicht, dank seiner Frau.
    » Subversiv ?« wiederholte Frau Minkel echogleich, setzte aufgebracht das Geschirr ab und lief puterrot an. »Nennen Sie Hansi subversiv? Weil wir aus unserem Herzen keine Mördergrube machen und freimütig sagen, was hier in diesem Land passiert?«
    Selbst wenn er es versucht hätte, es wäre Kurtz nicht gelungen, sie aufzuhalten; er machte aber auch gar keine Anstalten. Er ließ sie zu Ende reden.
    »Im Golan, die Auspeitschungen und die Folterungen? In der West-Bank, wie sie sie da behandeln, schlimmer als die SS? Im Libanon, im Gaza-Streifen? Ja, sogar hier in Jerusalem, wo wir die arabischen Jugendlichen herumschubsen, bloß weil sie Araber sind! Und wir sollen subversiv sein, bloß weil wir es wagen, über Unterdrückung zu reden, bloß weil uns keiner unterdrückt - Juden aus Deutschland, und dann subversiv in Israel?«
    »Aber, Liebchen...«, wollte der Professor verlegen vermitteln. Doch Frau Minkel war offensichtlich eine Dame, die es gewohnt war zu sagen, was sie wollte. »Wir konnten die Nazis nicht aufhalten, und jetzt können wir uns selbst nicht aufhalten. Da haben wir jetzt unser eigenes Land, und was machen wir? Wir erfinden vierzig Jahre später einen neuen verlorenen Stamm. Heller Wahnsinn! Und wenn wir es nicht sagen, wird es die Welt tun. Sie sagt es ja schon jetzt. Lesen Sie doch die Zeitungen, Herr Spielberg!« Wie um einen Schlag abzuwehren, hatte Kurtz den Unterarm erhoben, bis er sich zwischen ihrem Gesicht und dem seinen befand. Doch sie war längst noch nicht fertig. »Diese Ruthie », sagte sie und verzog voller Abscheu den Mund. »Ein guter Kopf! Hat drei Jahre unter Hansi studiert! Und was macht sie? Tritt in den Apparat ein!«
    Kurtz nahm die Hand herunter und ließ erkennen, dass er schmunzelte. Nicht, dass er sich lustig machte oder zornig gewesen wäre; er schmunzelte nur mit dem verwirrten Stolz des Mannes, der die erstaunliche Vielfalt seines Volkes wahrhaft liebte. Er rief: »Bitte!«, wandte sich flehentlich an den Professor, doch Frau Minkel hatte noch unendlich viel zu sagen.
    Schließlich hörte sie jedoch auf, und als sie soweit war, bat Kurtz sie, ob sie nicht doch Platz nehmen und zuhören wolle, was er zu sagen habe. So setzte sie sich wieder auf den Hocker und wartete darauf, beschwichtigt zu werden.
    Kurtz gab sich Mühe, besonders freundlich zu sein, und wählte seine Worte mit großem Bedacht: Was er zu sagen habe, sei hoch geheim, sagte er, Geheimeres gebe es gar nicht. Nicht einmal Ruthie Zadir - eine ausgezeichnete Beamtin, die jeden Tag mit Geheimsachen umgehe -, nicht einmal Ruthie Zadir wisse davon, sagte er; das stimmte zwar nicht, aber was soll’s? Er sei nicht wegen der Schüler des Herrn Professors gekommen, sagte er, und schon gar nicht, um ihn der Subversion zu bezichtigen oder um sich mit ihm über seine hehren Ideale zu streiten. Er sei einzig wegen des Vortrags gekommen, den der Herr Professor in Freiburg zu halten gedenke und der die Aufmerksamkeit gewisser extrem negativer Elemente erregt habe. Endlich rückte er damit heraus, um was es eigentlich ging.
    »Das jedenfalls ist die traurige Tatsache«, sagte er und holte tief Atem. »Wenn es nach einigen von diesen Palästinensern ginge, für deren Rechte Sie beide so mutig eingetreten sind, werden Sie am Vierundzwanzigsten dieses Monats in Freiburg keinen Vortrag halten. Ja, werden Sie nie mehr einen Vortrag halten, Herr Professor.«
    Er hielt inne, doch

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