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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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lang. Sympathisieren Sie insgeheim mit seiner Einstellung?«
    »Sie wissen, dass ich das nicht tue.«
    »Ist das der Grund, warum er Ihnen gegenüber so offen gesprochen hat? Weil Sie ihm Grund zu der Annahme gaben, dass er Ihnen vertrauen könne? Das glaube ich schon.«
    »Nein.«
    »Haben Sie mit ihm geschlafen?«
    » Nein .«
    »Wieso kommen Sie dann dazu, Halloran schützen zu wollen? Wieso fürchten Sie um das Leben eines Verräters, wenn Sie gerade lernen, für die Revolution zu töten? Warum sind Sie nicht aufrichtig uns gegenüber? Sie enttäuschen mich.«
    »Ich bin unerfahren. Er tat mir leid, und ich wollte nicht, dass ihm was zustößt. Doch dann habe ich mich auf meine Pflicht besonnen.«
    Tayeh schien das ganze Gespräch zunehmend zu verwirren. Er nahm noch einen Schluck aus seiner Flasche. »Setzen Sie sich!«
    »Das brauche ich nicht.«
    »Setzen Sie sich!«
    Sie tat, was er befahl. Sie blickte verbissen an ihm vorbei, auf irgendeine gehasste Stelle ihres eigenen, ganz persönlichen Gesichtskreises. Im Geist hatte sie längst die Linie überschritten, wo er nicht mehr das Recht hatte, sie zu kennen. Ich habe gelernt, wozu ihr mich hergeschickt habt. Schreib’s dir doch selbst zu, wenn du mich nicht verstehst.
    »In einem Ihrer Briefe an Michel sprechen Sie von einem Kind. Haben Sie ein Kind? Von ihm?«
    »Ich habe von der Pistole gesprochen. Wir haben mit ihr geschlafen.«
    »Was für eine Pistole?« »Eine Walther. Die er von Khalil hatte.«
    Tayeh seufzte. »Wenn Sie an meiner Stelle wären«, sagte er schließlich und wandte nun seinerseits den Blick von ihr ab, »und Sie hätten darüber zu bestimmen, was mit Halloran geschehen soll - der bittet, nach Hause gehen zu dürfen, der aber zuviel weiß -, was würden Sie mit ihm machen?«
    »Ihn neutralisieren.«
    »Ihn erschießen?«
    »Das ist Ihre Sache.«
    »Ja. Das ist es.« Noch einmal betrachtete er sein schlimmes Bein, hielt den Spazierstock parallel darüber. »Aber warum einen Mann hinrichten, der bereits tot ist? Warum ihn nicht für unsere Zwecke einspannen?«
    »Weil er ein Verräter ist.«
    Und abermals schien Tayeh die Logik ihres Standpunkts absichtlich mißzuverstehen.
    »Halloran macht sich an viele Leute in diesem Lager heran. Nie ohne Grund. Er ist unser Geier, er zeigt uns, wo Schwäche und Krankheit liegen. Zeigt uns, wo wir es mit potentiellen Verrätern zu tun haben. Meinen Sie nicht, dass es dumm von uns wäre, wenn wir uns eines solch nützlichen Geschöpfes entledigten? Sind Sie mit Fidel ins Bett gegangen?«
    »Nein.«
    »Weil er Hispano-Kubaner ist?«
    »Weil ich nicht mit ihm ins Bett gehen wollte.«
    »Mit den Arabern denn?«
    »Nein.« »Ich finde, Sie sind zu wählerisch.« »Bei Michel war ich nicht wählerisch.«
    Verwirrt aufseufzend, genehmigte Tayeh sich einen dritten Schluck aus der Whiskyflasche. »Wer ist Joseph ?« wollte er dann in leicht quengeligem Ton wissen. »Joseph? Wer ist das, bitte?«
    War die Schauspielerin in ihr endlich gestorben? Oder hatte sie sich dermaßen mit dem Theater des Wirklichen versöhnt, dass der Unterschied zwischen Leben und Kunst verschwunden war? Nichts aus ihrem Repertoire wollte ihr einfallen; sie hatte nicht das Gefühl, sich ihre Rolle auszusuchen. Sie dachte gar nicht erst daran, etwa über die eigenen Füße zu stolpern und regungslos auf dem Steinfußboden dazuliegen. Sie war nicht versucht, ein umfassendes Geständnis abzulegen und ihr Leben gegen alles einzutauschen, was sie wusste - was, wie man ihr gesagt hatte, ihr immer als letzte erlaubte Möglichkeit offen stand. Sie war wütend. Sie war es restlos leid, dass ihre Integrität hervorgezerrt und besudelt und jedes Mal dann, wenn sie einen neuen Meilenstein auf ihrem Marsch zu Michels Revolution erreicht hatte, einer neuerlichen Überprüfung unterzogen werden sollte. Und so feuerte sie, ohne weiter darüber nachzudenken, zurück - spielte aufs Geratewohl die oberste Karte ihres Blattes aus - friss oder stirb, und du kannst mich mal!
    »Ich kenne keinen Joseph.«
    »Kommen Sie! Überlegen Sie doch mal. Auf Mykonos. Ehe Sie nach Athen fuhren. Einer von Ihren Freunden hat bei einer ganz beiläufigen Unterhaltung mit irgendeinem unserer Bekannten etwas von einem Joseph gesagt, der sich Ihrer Gruppe anschloss. Er sagte, Charlie sei von ihm ganz hin gewesen.«
    Es waren keine Barrieren mehr da, keine Ausflüchte möglich. Sie hatte alle beiseite gefegt und arbeitete jetzt ohne jede Deckung. »Joseph? Ach, der Joseph!« Sie

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