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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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über unsere Strategie diskutiert. Sonst noch was?« »Und die Ähnlichkeit? Reicht die aus? Seine Statur, sein Gesicht?«
    »Das mit der Ähnlichkeit kommt hin«, erklärte Kurtz, und sein Gesicht zeigte wieder die alten harten Linien. »Wir arbeiten daran, und das reicht. Aber jetzt genug von ihm, Shimon, sonst bringst du mich noch dazu, ihn zu sehr zu lieben.«
    Und dann ließ er seinen Ernst fahren und brach in Lachen aus, bis ihm die Tränen der Erleichterung und der Müdigkeit über die Backen liefen. Litvak lachte auch und spürte, wie sich beim Lachen seine Eifersucht legte. Diese plötzlichen, ziemlich verrückten Wetterumschwünge waren ein wesentlicher Teil von Litvaks Wesen, bei dem viele widerstreitende Faktoren eine Rolle spielten. Wie sah er sich selbst? Sein Name bedeutete ursprünglich ›Jude aus Litauen« und war früher herabsetzend. An einem Tag sah er sich als vierundzwanzigjährige Kibbuz-Waise ohne jeden lebenden bekannten Verwandten, an einem anderen als das Adoptivkind einer amerikanischen orthodoxen Stiftung und der israelischen Sonderkommandos. Wieder an einem anderen Tag als Gottes ergebener Polizist, der mit der Ungerechtigkeit in der Welt aufräumte. Er spielte wunderbar Klavier.
    Über das Kidnapping braucht nicht viel gesagt zu werden. Mit einem erfahrenen Team werden solche Dinge heutzutage entweder schnell oder geradezu rituell oder überhaupt nicht erledigt. Nur die mögliche Bedeutung des Fangs gab dem Ganzen etwas Nervöses. Es kam weder zu einer widerlichen Schießerei noch zu anderen Unannehmlichkeiten, sondern war nichts weiter als die reibungslose Inbesitznahme eines weinroten Mercedes und seines Fahrers auf griechischem Gebiet, rund dreißig Kilometer von der türkischgriechischen Grenze entfernt. Litvak leitete die Einsatzgruppe und war, wie immer im Außeneinsatz, ausgezeichnet. Kurtz, der wieder in London war, um eine plötzliche Krise zu bewältigen, zu der es in Schwilis ›Bildungs-Kreis‹ gekommen war, hockte während der entscheidenden Stunden in der Israelischen Botschaft neben dem Telefon. Die beiden Münchener Agenten, die verabredungsgemäß gemeldet hatten, der Leihwagen sei an den Autoverleih zurückgegeben worden, ohne dass von einem Nachfolger die Rede gewesen wäre, folgten Yanuka zum Flughafen, und tatsächlich, das nächste, was man von ihm hörte, war, dass er drei Tage später in Beirut auftauchte, wo eine Abhörmannschaft in einem Keller im Palästinenserviertel seine fröhliche Stimme auffing, wie er seine Schwester Fatmeh begrüßte, die in einem der Büros der Revolutionäre arbeitete. Er sei für ein paar Wochen in der Stadt, um Freunde zu besuchen, sagte er; ob sie wohl einen Abend für ihn frei habe? Seine Stimme habe richtig glücklich geklungen, berichteten sie: übermütig, erregt, leidenschaftlich. Fatmeh jedoch habe sich recht kühl gegeben. Entweder, so sagten sie, sei es mit ihrer Begeisterung für ihn nicht weit her, oder aber sie wisse, dass ihr Telefon angezapft werde. Vielleicht beides. Jedenfalls war es zu keinem Treffen zwischen Bruder und Schwester gekommen.
    Dann führte seine Spur nach Istanbul, wo er mit einem zypriotischen Diplomatenpass im Hilton abstieg und sich zwei Tage lang den religiösen wie weltlichen Freuden der Stadt hingab. Die Beschatter beschrieben, wie er einen letzten ausgiebigen Schluck Islam nahm, ehe er in die christlichen Gefilde Europas zurückkehrte. Er besuchte die Moschee Solimans des Prächtigen, wo man ihn nicht weniger als dreimal beim Gebet sah, und ließ sich hinterher auf der mit Gras bewachsenen Promenade neben der Südmauer die Gucci-Schuhe auf Hochglanz bringen. Außerdem trank er dort mehrere Gläser Tee mit zwei ruhigen Männern, die fotografiert, aber hinterher niemals identifiziert wurden: eine falsche Fährte, wie sich herausstellte, und nicht der von ihnen erwartete Kontakt. Außerdem bereitete ihm der Anblick von ein paar alten Männern, die am Straßenrand abwechselnd mit einem Luftgewehr gefiederte Bolzen auf eine auf einen Pappkarton gezeichnete Zielscheibe schössen, ein ganz ungewöhnliches Vergnügen. Er wollte mitmachen, doch sie ließen ihn nicht.
    In den Anlagen auf dem Sultan-Achmet-Platz saß er zwischen Orange- und malvenfarbenen Blumenbeeten auf einer Bank und ließ den Blick wohlwollend auf den ihn umgebenden Kuppeln und Minaretten verweilen wie auf den Trauben von kichernden amerikanischen Touristen, besonders aber auf einer Gruppe Teenager in Shorts. Irgendetwas hielt ihn

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