Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
und Thistle öffnete blinzelnd die Augen. Er hatte nicht bemerkt, dass er sich geschlossen hatte.
„ Thistle hat Recht“, warf Lucthen ein. „Wir haben eine Aufgabe, die Vorrang vor allem andern hat. Wir können es uns nicht leisten, in einem sinnlosen Scharmützel alle hingeschlachtet zu werden.“
„ Das sind doch nur Ausreden!“, rief Dawn erbost. „Wollt ihr etwa zulassen, dass die Fort`mai weiter durch die Auen ziehen und wer weiß was anstellen?“
„ Wir können es nicht verhindern“, meinte Lucthen entschieden.
„ Nicht allein“, warf Thistle ein. „Im nächsten Dorf werden wir melden, was wir gesehen haben, dann sehen wir weiter.“
Dawn senkte das Haupt. Man musste kein Hellseher sein um zu wissen, dass sie mit der Entscheidung nicht einverstanden war, doch sie fügte sich und das musste genügen.
Crystal versuchte ihre Nerven zu beruhigen. Seit Thistle ihnen von seiner Entdeckung erzählt hatte, zuckte sie bei jedem Geräusch zusammen, ängstigte sich vor Ästen, die ihren Rocksaum streiften und erschrak über ihren eigenen Schatten. Der Gedanken, dass ganz in der Nähe Fort`mai ihr Lager hatten war aber auch beunruhigend. Thistle und Lucthen schienen eben so zu denken, Dawn hingegen wirkte wütend, weil man ihr untersagt hatte, Jagd auf sie zu machen.
Sturmmähne, die Crystal am Zügel führte, wieherte leise. Für Crystals überreizte Nerven schien das Geräusch beinahe unerträglich laut. Sie wandte sich zu ihrem Pferd um und streichelte das weiche Fell des Tieres. „Ruhig, ruhig“, flüsterte sie, mehr um sich selbst zu beruhigen. Crystal fragte sich, wie lange sie zum nächsten Dorf noch brauchen würden. Und was würde dann passieren? Ihr gefiel der Gedanke nicht besonders, dass sie dann losziehen würden um die Fort`mai zu töten. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass sie Dawn nicht davon würden abhalten können, sich an der Jagd zu beteiligen und wenn sie ehrlich war, gefiel ihr auch der Gedanke, die Fort`mai tot zu sehen, nicht. Sie war keine Jägerin und würde nie eine werden. Crystal schnupperte. Einen Moment lang hatte sie gedacht, dass sie in der kühlen Herbstluft Rauch gerochen hätte. Sie hatte sich wohl getäuscht, denn jetzt nahm sie nur mehr den klaren Waldgeruch wahr, der so sehr zu den Auen gehörte. „Stört es dich, wenn ich mit dir rede?“
Lucthen drehte sich zu ihr herum und schüttelte den Kopf. Crystal vermeinte ein leichtes Lächeln zu sehen, das seine Lippen umspielte. Im Stillen dankte sie Lucianus für seinen Unterricht, denn auch wenn Lucthen nicht antworten konnte, ohne Gefahr zu laufen, damit die Aufmerksamkeit der Fort`mai zu erregen, konnte sie mit dem Magus reden. Sie wusste, dass Lucthen sich für all die Dinge, die Lucianus ihr beigebracht hatte, brennend interessierte, also sprach sie davon wie man seine Stimme durch pure Willensanstrengung in bestimmte Bahnen lenkte, wie man erreichen konnte, dass die eigene Stimme vom Wind weiter getragen wurde, als die Stimme eines gewöhnlichen Menschen je reichen konnte. Crystal hatte ihren Blick auf den Rücken ihres Begleiters geheftet. Sie konnte erkennen, dass der Magus manchmal nickte, um ihr zu zeigen, dass er verstanden hatte und nach und nach beruhigte sie sich.
Als Dawn völlig unvermittelt ihr Schwert zog erschrak sie umso mehr. Sie warf Lucthen einen ratlosen Blick zu und auch dieser schien nicht zu begreifen, was Dawn vorhatte. Gemeinsam schlichen sie sich zu ihr und blieben dicht neben ihr stehen. Sie stand reglos, mit geschlossenen Augen.
„ Dawn, was tust du da?“ Lucthen hielt seine Stimme leise, doch Crystal konnte den scharfen Unterton darin deutlich vernehmen.
„ Irgendetwas stimmt hier nicht“, meinte sie ohne die Augen zu öffnen.
„ Warum hast du dein Schwert gezogen?“
Dawn blinzelte kurz. Die Frage schien sie zu verwirren, als wäre sie sich dessen bisher gar nicht bewusst gewesen. „Ich rieche Rauch aus dieser Richtung.“
Crystal erschrak. Sie hatte gehofft, dass ihr ihre Nerven einen Streich gespielt hatten. Thistle hatte mittlerweile gemerkt, dass sie ihm nicht mehr folgten und war zu ihnen zurückgekommen. Bei Dawns Worten wurde er eine Spur blasser. „In dieser Richtung vermute ich das nächste Dorf“, meinte er tonlos.
„ Blut. Ich kann auch Blut riechen.“
Crystal überlief es kalt. Sie wünschte, Dawn würde aufhören sich so seltsam zu benehmen. Wie sie dastand, mit geblähten Nasenflügeln und vor Aufregung bebenden Augenlidern, erinnerte sie
Weitere Kostenlose Bücher