Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
weiter flog er, bis sich die Wälder wieder lichteten und plötzlich änderte sich seine Perspektive noch einmal. Er hatte keinen Körper mehr, brauchte ihn nicht mehr. Um ihn herum saßen Druiden am Boden. Männer, Frauen, Kinder. Gebannt starrten sie in den Himmel und er folgte ihren Blicken. Da sah er den Falken wieder. Er kreiste eine Zeit lang, dann landete er auf dem tiefliegenden Ast einer Weide. Welch wunderschönes Tier! Thistle konnte seinen Blick nicht von ihm wenden. Und dann sah er es. Die Krallen des Falken waren voller Blut. Langsam löste sich ein schwerer Tropfen. Thistle sah gebannt zu, wie das Blut, sein Blut, langsam auf die Erde fiel. Als der Tropfen auf dem Boden aufschlug und zerplatzte, erwachte er.
Er zog zumindest in Erwägung, dass er sich täuschen könnte. Doch instinktiv wusste er, dass dem nicht so war. Er war gerufen worden. Zum Glück hatte er heute sein letzter Tag bei der Sumpfwache und er würde ohne Verzögerung nach Hause aufbrechen können. Was dann zu tun war, musste er mit dem Druiden besprechen. Thistles Blick glitt über die Sümpfe und die Berge, die dahinter aufragten. Die ersten Strahlen der Sonne tauchten sie in warmes Licht.
„ Vielleicht sind die Auen unbewohnt?“, mutmaßte Dawn. Stille folgte ihren Worten. Stille, die ihr Recht zu geben schien. Sie hatte damit gerechnet, dass ihr der Magus widersprechen würde; dass er es nicht tat, beunruhigte Dawn. Konnte es sein, dass sie Recht hatte und Eidos’ Reich nur von Bären, Wildschweinen und Eichhörnchen bewohnt war? Sie reisten jetzt den dritten Tag, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein. Die wilden Tiere des Waldes waren scheu, doch nicht furchtsam. Dawn dachte, dass sie sich nicht so benahmen, als hätten sie mit Menschen schon Erfahrungen gemacht. Seit sie in den Auen waren, hatten sie ihren Proviant kaum gebraucht. Die Wälder boten ein reiches Angebot an Speisen und sie ernährten sich von Beeren, Wurzeln und Pilzen. Wenn sie in den letzten Stunden des Tages bei einem Lagerfeuer zusammen saßen, dann hatte sie manchmal das Gefühl, als wären sie bereits Freunde geworden. Dawn hatte beobachtet, dass Lucthen Corus nicht mehr ganz so distanziert behandelte, seit dieser seine Geschichte erzählt hatte. Fast schien es, als hätte er Corus unter seine Fittiche genommen. Dawn verzog genervt das Gesicht, als sie an die langweiligen Vorträge dachte, die Lucthen ihrem Freund hielt. Corus hing jedoch mit Anbetung an den Lippen des Magus. Nun, sie musste gestehen, dass er nicht so übel war wie sie zuerst befürchtet hatte. Anfangs hatte er ja wie ein Eisblock, ohne jegliches Gefühl, gewirkt. Corus hatte ihr allerdings erklärt, dass Magi eine eiserne Körperbeherrschung lernen mussten, um nicht unbeabsichtigt Magie zu wirken und dass viele Magi diese Lektionen so sehr verinnerlichten, dass sie nie lächelten oder irgendeine Regung zeigten. Doch Dawn war eine aufmerksame Beobachterin und mit der Zeit hatte sie gelernt, in Lucthens unbewegtem Gesicht zu lesen; dass er Crystal gut leiden konnte, war ihm zum Beispiel deutlich anzumerken und auch, dass er sie selbst für einen unbändigen Wildfang hielt. Nun, ihr war egal, was er von ihr hielt, solange er Corus freundlich behandelte. Außerdem hatte sie gelernt, ihn nicht zu unterschätzen. Ein paar Tage nach dem Vorfall mit den Krötenmenschen hatte er sie ganz beiläufig gefragt, wie sie zu einem solchen Schwert kam. Ihr war fast das Herz stehen geblieben, so sehr hatte er sie mit der Frage überrumpelt, dann hatte sie irgendetwas von ihrem Vater und einem Abschiedsgeschenk gestottert. Er hatte die Sache auf sich beruhen lassen, doch Dawn vermutete, dass er ihr nicht glaubte. Wenn Crystal nicht wäre, hätte Lucthen vielleicht etwas dagegen mit ihnen zu reisen, doch er fügte sich ihren Wünschen. Genau wie Corus und sie selbst es taten. Sie konnte sich selbst nicht so genau erklären warum, aber irgendwie war sie ständig darum bemüht, Crystal einen Gefallen zu tun. Es tat so gut sie lachen zu hören oder zu sehen, wie ihre Augen in kindlicher Freude aufblitzten. Sie war wirklich ganz erstaunlich. Manchmal hielt sie sich wie eine Baronin, dann wieder wirkte sie traurig und verloren. Wenn sie etwas sah, das ihr gefiel, konnte sie staunen wie ein kleines Kind und wenn Dawn sie ermutigte, konnte sie genauso übermütig sein wie sie selbst. Seit Crystal ihnen erzählt hatte, was mit ihrem Bruder und dessen Frau geschehen war, bemühte sie sich die Bardin
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