Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
abzulenken. Gestern Nachmittag hatten sich die beiden Frauen in einem Bach das Haar gewaschen und Dawn hatte danach leichthin gemeint:
„ Komm, lass mich deine Zofe spielen. Ich bürste dir dein Haar aus.“ Crystal hatte gezögert und schließlich geantwortet:
„ Nur, wenn ich danach deine Zofe spielen darf.“ Also hatten sie sich gegenseitig das Haar frisiert und Dawn hatte zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gehabt, dass sie eine Freundin gefunden hatte. Als sie dann gemeinsam zu den Anderen zurückgekehrt waren, sahen sie wie Lucthen Corus gerade eine Geste beibrachte. Corus’ Gesicht war vor Konzentration ganz rot gewesen und Dawn hatte herzlich gelacht. Bevor Corus wütend werden konnte, hatte der Magus gemeint, dass er mit den Fortschritten des jungen Mannes zufrieden war und dass sie besser morgen weitermachen sollten. Dieses Kompliment hatte Corus seinen Zorn vergessen lassen und sie hatten ein friedliches Abendessen genossen. Danach hatte Corus Crystal gebeten, dass sie etwas auf der Harfe spielen sollte und diese war seinem Wunsch nachgekommen. Ihre Musik hatte sich auf eigenartige Weise verändert. Sie folgte jetzt nicht mehr den Regeln der Liedmeister, die die Gesänge in Bild, Klage und Mahnung teilten. Sie spielte einfach, was ihr in den Sinn kam und je länger sie in Eidos’ Reich weilten, desto besser schien Crystal den Zauber der Natur in ihr Lied bannen können. Diese Waldlieder versetzten Dawn immer in vollkommenen Einklang mit ihrer Umgebung und wenn sie sich danach niederlegte, fühlte sich der Boden unter ihrer Schlafrolle nicht unangenehm hart an und das Blätterdach über ihrem Kopf rauschte seltsam tröstlich in ihren Ohren. Dawn fühlte sich zufrieden und Madame Fates Warnungen waren vergessen.
Crystal hatte sich auf ihrer Schlafmatte zusammengerollt und schaute in den Himmel. Es war eine klare Nacht. Der Mond schien durch die Blätter der Bäume und die Sterne leuchten von einem wolkenlosen Himmel. Es war vermutlich kurz vor Mitternacht. Die Anderen schliefen schon lange und Crystal lausche ihren entspannten Atemzügen. Sie selbst fand keinen Schlaf. Kurz entschlossen stand sie auf. Vielleicht würden ihre angespannten Nerven Ruhe finden, wenn sie ein wenig spazieren ging. Sie hatten ihr Lager in der Nähe eines kleinen Baches aufgeschlagen und Crystal beschloss seinem Lauf zu folgen. Der Gedanke, dass die Krötenmenschen ihr in die Auen folgen könnten, quälte sie. Es wäre für ihre Freunde vermutlich das Beste, wenn sie ihre Sachen packen und alleine weitergehen würde. Doch Crystal wusste, dass sie dazu nicht den Mut aufbringen würde. Sie hatte keine Angst vor dem Wald und den wilden Tieren, die in ihm wohnten. Nicht, seit sie das erste Mal das Waldlied gespielt hatte. In dem Moment hatte sie gewusst, dass sie in den Auen willkommen war. Doch wie sollte sie sich verteidigen, wenn sie jemand angriff? Crystal wusste sehr wohl, dass sie das nicht konnte. Außerdem würde sie Lucthens ruhige Zuversicht, Dawns Lebendigkeit und Corus’ Schlauheit zu sehr vermissen. Wie schrecklich einsam es sein musste, alleine zu reisen. Zum wiederholten Mal fragte sich Crystal, ob ihr die Talosreiter die Wahrheit gesagt hatten. Gab es wirklich jemand in den östlichen Wäldern, der ihr helfen konnte? Sie hatte eigentlich keinen Grund den Boten des Elfenkönigs zu misstrauen und dennoch fühlte sie, dass mehr hinter der ganzen Sache steckte, als ihr die Drei gesagt hatten. Warum würde jemand die Barden töten wollen? Crystal schauderte.
„ Unsere Aufgabe ist es nicht nur, die Menschen mit unseren Liedern zu erfreuen, sondern die Menschen daran zu erinnern, wer sie sind“, hatte Meister Martim erklärt. „Die Menschen daran zu erinnern, dass sie Geschöpfe des Lichts sind und dass wir uns bemühen müssen, Gutes zu tun.“ Wenn jemand die Barden zum Schweigen brachte, konnten die Menschen dann vergessen? Als sie Corus’ Geschichte gehört hatte, hatte sie zum ersten Mal begriffen, dass die Menschen durchaus im Stande waren, Böses zu tun. Nicht weil sie böse waren, sondern weil sie es einfach nicht besser wussten. Corus hatte nur Gutes gewollt und dennoch war das, was er getan hatte, schrecklich falsch. Crystal setzte sich am Ufer des Baches ins Gras und blickte ins Wasser. Der Bach floss langsam und ruhig dahin und Crystal betrachtete ihr eigenes Spiegelbild. Ihre Haut schien im Mondlicht weiß wie Milch, ihre Augen unnatürlich groß. Ihr Haar fiel ihr offen über die
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