Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
beobachtete, wie der blonde Junge, der mit den Fremden gekommen war, konzentriert die Augen zusammengekniffen hatte und sich langsam bewegte. Lucthen stand daneben und beobachtete ihn aufmerksam. Es handelte sich wohl um eine Art Unterricht. Die Bewegungen waren von eigenartiger Schönheit, auch wenn Thistle ihren Sinn nicht verstand. Wenn das Magie sein sollte, so glückte sie offensichtlich nicht, es passierte nämlich gar nichts. Dennoch, als Corus geendet hatte, sah er zufrieden aus und der Magus nickte ihm zu. Thistle machte sich bemerkbar und trat an Lucthen heran. Er fand den großen, schlanken Mann nicht unsympathisch, doch seine unbewegte Miene konnte mitunter ziemlich irritierend sein. „Dürfte ich vielleicht einen Moment mit Euch sprechen?“
„ Selbstverständlich“, meinte der Magus und an Corus gewandt: „Übe das Schild weiter als Wasser im Wasser.“ Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Thistle zu.
Der beschloss gleich zur Sache zu kommen. „Ich hatte schon vor Eurer Ankunft in unserem Dorf beschlossen, Richtung Osten zu ziehen und ich dachte, da ich ebenso wie ihr in den nächsten Tagen aufbrechen will, könnten wir gemeinsam reisen.“
Der Magus wirkte nicht überrascht. „Das scheint sinnvoll. Wenn meine Gefährten nichts dagegen haben – und das kann ich mir kaum vorstellen –, könnt Ihr gerne mit uns reisen.“
Thistle grinste. „Das wird bestimmt unterhaltsamer, als alleine reisen zu müssen…“
Dass er Lobelia später bei Crystal fand, überraschte ihn nicht besonders. Die Beiden saßen mit überkreuzten Beinen am Boden und unterhielten sich. Crystal lauschte den Worten des Kindes mit großem Ernst und nickte dann. Thistle fragte sich, welche Geheimnisse Lia ihr wohl anvertraut hatte. Als er näher kam, sah er, dass auf Crystals Handfläche ein Stein lag. Ein Mondstein, der in die Form einer kleinen Kugel geschliffen und in den ein Loch gebohrt worden war. Crystal schloss ihre Finger fest um den Stein und drückte das Kind an ihre Brust. Thistle lächelte. Ob die rothaarige Bardin begriff, wie sehr seine Schwester sie mit dieser Geste ehrte? Wenn man jemand das Zeichen seiner Sippe schenkte, dann nahm man ihn damit gleichsam in die Familie auf. Unter Verlobten wurden Zeichen getauscht, unter Kampfgefährten und unter den ältesten Freunden. Thistle hatte bisher erst einmal eine Perle aus seinem Haar gelöst. Er räusperte sich. „Ah, genau die beiden Frauen, mit denen ich sprechen möchte. Darf ich mich setzen?“
„ Natürlich“, meinte Crystal und deutete mit der Hand auf den Boden.
Er setzte sich ganz in Lobelias Nähe und zog sie in seine Arme. „Crystal hat dir bestimmt erzählt, dass sie und ihre Freunde in die östlichen Wälder ziehen wollen, oder?“ Lobelia nickte stürmisch und ihre Zöpfe wippten auf und ab. „Weißt du, wenn deine Freundin nichts dagegen hat, dann würde ich sie gerne begleiten.“ Thistle warf einen fragenden Blick auf Crystal, die ziemlich erstaunt wirkte.
Lia versteifte sich in seinen Armen. „Du ist doch gerade erst nach Hause gekommen.“
„ Wir können uns nicht immer aussuchen, wo wir hingehen müssen. Wenn ich es könnte, würde ich hier bleiben, das glaubst du mir doch, oder?“
Lobelia nickte. „Willst du denn überhaupt, dass Thistle mitgeht?“
Crystal sah Thistle nachdenklich in die Augen, dann wandte sie ihren Blick dem Kind zu. „Ich weiß nicht, warum dein Bruder gehen muss, doch wenn dem so ist, dann ist es sicher besser, wenn wir gemeinsam reisen.“ Thistle grinste breit, als er Crystals diplomatische Antwort hörte. Sie wusste eindeutig, wie man mit Kindern umgehen musste.
„ Du kannst gar nicht mit dem Bogen schießen und du kennst dich auch nicht im Wald aus“, führte Lia Crystals Schwächen an. „Wenn Thistle dich begleitet, kann er auf dich aufpassen und du kannst ihm dafür immer schöne Lieder vorspielen.“
Crystal lächelte. „Ich nehme an, das würde gehen.“
Thistle würde seine Schwester vermissen. Und nicht nur sie. Das Dorf hier war seine Heimat und er hatte nie etwas anderes gewollt als hier zu leben. Er hatte immer gedacht, dass er zufrieden wäre, wenn er ab und zu einen Bogenschützenbewerb gewinnen würde, wenn er ein hübsches Mädchen und irgendwann einmal Kinder hätte, wenn das Leben einfach wäre. Doch das war, bevor er den Sumpf gesehen hatte. Ein Teil von ihm hatte schon damals begriffen, dass er nicht nach Hause zurückkehren konnte, um so zu tun als wäre alles in Ordnung, wenn
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