Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
warum sie so empfand und doch spürte sie einen Moment lang, dass ein großes Schicksal auf ihren schmalen Schultern lastete. Es war wie ein seltsames, kühles Licht, das plötzlich auf Crystal fiel und auch den Magus, den Jäger und sie selbst zu erleuchten schien. Dawn schüttelte sich. Das kam davon, wenn man solch heikle Themen vor dem Schlafengehen ansprechen musste…
Die Auen waren viel weniger dicht besiedelt als die Mittellande. Manchmal sahen sie tagelang keine Menschenseele, dafür mehr Tiere als es in ihrem Reich zu geben schien. Einmal hatte sie eine Gruppe von Jägern getroffen, die auf der Suche nach Wild durch die Wälder gestreift waren. Auf Thistles Rat hin, hatten sie ihnen nicht erzählt, dass sie in die östlichen Wälder zogen. Lucthen begrüßte diese Entscheidung. Die Auenbewohner waren ohnehin misstrauisch wenn sie Mittelländer in ihrem Reich antrafen. Lucthen konnte das durchaus nachvollziehen. Er wäre genauso erstaunt gewesen, hätte er Zuhause jemand aus einem anderen Reich angetroffen. Doch er machte sich seine Gedanken. Warum hatte sein Vater Liisatiina zu diesem mystischen Ort gebracht? War sie eine Druidin? Vorsichtig hatte er bei Thistle nachgefragt, ob alle Druiden ihr Haar so trugen, wie der Druide seines Dorfes. Immerhin trug auch Liisatiina ihr Haar offen und lang. Thistle hatte ihm erklärt, dass Druiden ihre Zugehörigkeit zu einer Sippe, ja sogar ihren Namen, aufgaben. Symbolisch dafür wurden ihnen die Zöpfe gelöst und die Zeichen der jeweiligen Sippe abgenommen. Der Gedanke, dass sie vielleicht gar keinen Namen mehr hatte, bedrückte ihn seltsam. Es schien ihm falsch, dass sie ihren eigenartig klingenden Namen, der dennoch so gut zu ihr zu passen schien, abgelegt haben sollte. Eines Nachmittags führte Thistle sie zu einem Dorf, da dort Mitglieder seiner Sippe lebten. Anfangs hatte ihn das verwirrt. „Ich dachte eine Sippe ist eine Familie und lebt in einem Dorf gemeinsam?“, hatte er gefragt.
„ Zu Sippe gehört, wer das Zeichen der Sippe trägt. Die Mitglieder meiner Sippe sind im ganzen Reich verteilt. Es ist bei uns Tradition, dass wenn eine Frau und ein Mann aus unterschiedlichen Sippen heiraten, beide die Zeichen von zwei Sippen tragen. Die Kinder aus dieser Verbindung werden jedoch nur mehr das Zeichen tragen, das die Frau vor der Ehe getragen hat. Wenn die beiden Eheleute aus unterschiedlichen Dörfern stammen, werden sie im Dorf des Mannes wohnen. So verteilen sich die Sippen auf viele Dörfer.“
Das System war Lucthen zwar fremd und kam ihm auch einigermaßen seltsam vor, doch immerhin schien es zu funktionieren. Als sie schließlich spät nachmittags das Dorf am oberen Flusslauf erreichten, wurde Thistle herzlich willkommen geheißen. Lucthen sah tatsächlich einige, die in ihrem Haar Mondsteinperlen trugen. Sie alle hatten das dunkle Haar, das in dieser Sippe anscheinend vorherrschend war. Einige sah er, die Adlerfedern trugen, doch der Hauptteil der Dorfbevölkerung trug Holzperlen im Haar. Lucthen konnte nicht ermitteln, aus welchem Holz sie gefertigt worden waren und er wusste auch nicht ob es darauf ankam. Das Dorf war deutlich kleiner, als Thistles Heimatdorf. Es war auf beiden Seiten eines Flusses errichtet worden. Sie hatten ihre Hütten teilweise am Boden, teilweise in den Bäumen errichtet, sodass die Häuser übereinander standen, was Lucthen einigermaßen verwirrte. Über den Fluss führten einige Luftbrücken, am Boden waren die beiden Seiten des Gewässers jedoch nicht miteinander verbunden. Es dauerte nicht lange bis er herausfand, dass die Hütten am Boden nur der Lagerung und Viehhaltung dienten. Gewohnt wurde in den Hütten in der Luft. Crystal hatte kopfschüttelnd erklärt, dass sie beim besten Willen nicht verstehen konnte, warum jemand lieber auf Bäumen wohnen wollte als darunter und er hatte ihr im Stillen zugestimmt. Andererseits, vermutlich wären die Auenbewohner genauso schockiert, wenn sie sahen, dass man in den Mittellanden in Häusern aus Stein wohnte. Lucthen war einigermaßen erstaunt, als er vernahm, dass man sie bereits erwartet hatte. Als er Thistle danach fragte erklärte er grinsend: Nun, unser Druide wird es ihrem wohl gesagt haben. Schließlich konnte er sich denken, dass ich die Gelegenheit nutzen würde um meine Verwandten zu besuchen.
Das war typisch für Thistle. Grinsend gab er Erklärungen und tat so, als wäre die Antwort ohnehin offensichtlich, Lucthen hingegen verwirrten sie mehr, als sie ihm halfen.
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