Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
musterte sie schweigend, dann wandte er sich um und bedeutete ihr und Lucthen ihm zu folgen. Sobald sie unter die ersten Bäumte traten umfing sie der Wald so vollkommen, dass Crystal etwas leichter atmen konnte. Auch der Wald war groß, dachte sie, doch die unendliche Weite des Meeres zu schauen konnte ganz schön bedrückend sein. Außerdem hatte sie sich im Verlauf ihrer Reise an den Wald gewöhnt, hatte ihn lieben gelernt, so dass sie das Rauschen der Blätter im Wind als beruhigend empfand. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie je wieder ohne es einschlafen sollte. Lucianus führte sie zu einer kleinen Lichtung. Sein silbernes Haar zog Crystals Blick immer wieder an. War es nicht doch Grau? Crystals Verstand weigerte sich einzusehen, dass irgendein Mensch Haar von einer solchen Farbe haben konnte. Doch genau hier lag ihr Fehler, Lucianus war kein Mensch, ebenso wenig wie Liisatiina. Wie schwer musste diese Erkenntnis Lucthen getroffen haben? Der Halbelf führte sie zu ein paar Stühlen und sie nahmen darauf Platz. Schweigen zog sich hin und Crystal hätte ihn am liebsten geschüttelt, damit er ihr endlich sagte, was er wusste, doch das wagte sie nicht. Seine Ausstrahlung war so kalt wie Ehrfurcht gebietend. „Manche von uns können in die Weisheit Lucis eintauchen, so dass ihnen kurze Blicke in die Zukunft gewährt werden“, begann er schließlich widerwillig zu erklären. „Es gibt eine Prophezeiung, die Eure Freundin gesprochen hat“, meinte er an Lucthen gewandt. „Wenn die Harfe der Inseln das Waldlied in die Sümpfe trägt, werden die Auen gerettet werden.“
Crystal erschauderte. Sie begriff, dass das was er soeben gesagt hatte wichtig war, wichtig für sie, doch sie wusste nicht warum.
„ Was soll das heißen: Harfe der Inseln?“ Lucthens Stimme klang ruhig und beherrscht wie immer und Crystal beruhigte sich bei dem vertrauten Klang.
„ Im Osten gibt es eine Gruppe von Inseln. Auf einer davon steht ein Gebäude, das aus der Zeit des Krieges stammt. Ich war einmal dort, das ist jahrhunderte her. Ich habe die Harfe gesehen, doch mein Wissen mit niemandem geteilt. Liisatiina konnte unmöglich davon wissen, weshalb ich geneigt bin ihrer Wahrsagung Glauben zu schenken. Ich habe damals versucht die Harfe zu nehmen, doch ich konnte es nicht. Vermutlich ist sie durch starke Magie geschützt und nur derjenige, der ausersehen ist sie in die Sümpfe zu tragen, kann sie berühren.“ Lucianus wandte seinen Blick Crystal zu und musterte sie eine Weile schweigend.
Crystal wurde heiß und kalt unter seinem Blick. Was wollte er von ihr? Warum erzählte er ihr diese seltsame Geschichte, wenn er sie bisher für sich behalten hatte, warum erklärte er ihr nicht endlich was es mit den Bardenmorden auf sich hatte? Plötzliches Verstehen weitete ihre Augen. „Ihr denkt, dass ich die Harfe nehmen soll?“
„ Talos scheint es zu denken.“ Lucianus Stimme klang nicht sehr erfreut. „Er hätte Euch ansonsten wohl kaum hierher geschickt.“
„ Jemand hat wahllos Barden ermordet um den Einen zu treffen, der ausersehen ist, die Auen zu retten“, meinte Lucthen mit tonloser Stimme.
„ Ich fürchte so ist es.“ Die kalte Stimme des Silberelfen jagte Crystal kalte Schauer über ihren Rücken, ihre Arme – bis sie das Gefühl hatte zu erfrieren. Krampfhaft versuchte sie einen klaren Kopf zu bewahren. Das alles ergab keinen Sinn. „Wie sollte irgendjemand von der Prophezeiung erfahren haben?“
„ Ich weiß es nicht, doch dass ist eine gute Frage. Es freut mich zu sehen, dass Ihr endlich anfangt nachzudenken, Baronin.“
Die Ungerechtigkeit seiner Worte trieb Crystal Zornesröte in die Wangen. Sie wollte schon zu einer scharfen Entgegnung ansetzen, doch dann wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit über Recht gehabt hatte: Menschen waren ihretwegen gestorben; nicht um Crystal Trenmains wegen, sondern wegen der Bardin, die die Auen retten sollte. „Wenn das so ist, will ich diese Frau nicht sein“, dachte sie stur. Crystal verharrte einen Moment in ihrem Trotz, der sie gegen den Schmerz schützte, dann kam ihr ein neuer Gedanke, den sie aussprach: „Warum sollte es irgendjemand in den Mittellanden kümmern, was mit den Auen passiert. Ich meine, die meisten Menschen haben nicht das geringste Interesse an den anderen Reichen.“
Lucianus ließ seinen Blick auf ihr ruhen. Crystal hatte das Gefühl, als würde sie ihn anwidern. Lange entgegnete er nichts, dann meinte er schlicht: „Waren es
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