Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
Mittelländer, die Eure Familie ermordet haben?“
Crystal schaffte es nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. Sie schlug die Hände vor die Augen und weinte. Wie konnte er solche Dinge zu ihr sagen? Wie konnte er Recht haben und sie hatte es die ganze Zeit über nicht gemerkt?
„ Das reicht jetzt“, ertönte Lucthens Stimme. Crystal spürte seine stützende Hand im Rücken und erschauderte. Als wäre sie fähig irgendjemanden zu retten! Sie hatte ihre Familie sterben sehen und war nicht in der Lage gewesen ihnen zu helfen, wie sollte sie ein ganzes Reich retten? Der Gedanke war lächerlich.
Das weiche Leder schmiegte sich an seine Haut und Thistle bewegte probehalber seine Finger. Er schien zu passen. Als Thistle aufblickte sah er, dass sich einige auf der Lichtung versammelt hatten. Menschen und Halbelfen. Er warf Vindarion einen flehenden Blick zu.
„ Niemand wird enttäuscht sein, wenn es dir nicht gelingt“, versicherte er Thistle glaubhaft.
Thistle nickte, doch er fühlte sich dadurch nicht ruhiger. Ein Gefühl beschlich ihn, das er sonst nur vor einem Bogenschießwettkampf hatte. Der Druck sich zu beweisen, das Bewusstsein, dass Augen, neugierig und prüfend, auf ihm ruhten. Vindarion trat an Thistle heran, packte den Unterarm, der in dem Falknerhandschuh steckte und zeigte Thistle wie er ihn halten musste. Dann trat er zurück. Thistle schluckte und warf dem Falken, der wie immer in seiner Nähe auf einem Ast saß, einen Blick zu. Die stechenden Augen des Vogels schienen ihn amüsiert zu mustern. Thistle streckte entschlossen den Arm vor. „Komm schon, Vogel“, flehte er im Stillen. „Blamiere mich nicht.“ Thistle wünschte sich eindringlich, dass das Tier zu ihm kommen sollte. Plötzlich erhob sich der Falke in die Luft und einen kurzen Moment lang hatte Thistle das Gefühl kühle Luft unter seinen Flügeln zu spüren. Thistle blinzelte verwirrt. Das war eigenartig. Einen Moment lang hatte er tatsächlich ahnen können, wie es sich anfühlen musste, wenn man fliegen konnte und heißer Neid auf das Tier, das über seinem Kopf flog, erfasste ihn. Er ließ den Falken nicht aus den Augen, sah die Strahlen der Sonne durch sein Gefieder scheinen, sah den eleganten Flug und wurde ganz ruhig. Er vergaß wo er war und dass er Zuschauer hatte. Was zählte waren er und das Tier. Der Falke zog seine Kreise über Thistles Kopf, stieg immer höher und plötzlich ließ er sich fallen. In scharfem Sturzflug raste er auf Thistle zu, der wie gebannt auf das Tier starrte. Unter normalen Umständen hätte er sich geduckt, doch nun blieb er reglos. Die gelben Krallen leuchteten in der Sonne, als sie sich in das Leder gruben. Thistle stieß den Atem aus. Ein heißes Glücksgefühl erfüllte ihn. Bernsteinaugen senkten sich in seine Augen, erwiderten seinen Blick. Thistle danke dem Tier im Stillen, dann streckte der seinen Zeigefinger vorsichtig dem Vogel entgegen. Zu gerne wollte er die weichen Federn berühren. Er sah den scharfen Schnabel des Tieres und bewegte sich langsam, ganz langsam. Schließlich berührte er die Schwarzweißen Brustfedern und streichelte das Tier behutsam. Während der ganzen Zeit über ließ ihn der Falke nicht aus den Augen und Thistle hätte über das Misstrauen des Tieres beinahe gelächelt. Schließlich entschied der Vogel, dass er genug hatte. Er stieß sich kräftig von Thistles Arm ab und erhob sich wieder in die Luft. Als ihn jemand an der Schulter berührte fuhr er erschrocken herum. Vindarion. Er hatte ihn ganz vergessen.
„ Gut gemacht“, lobte er.
Thistle grinste breit. Er fühlte sich, als ob er gerade den ersten Platz beim Bogenschießen gemacht hätte. Ein erschrockener Aufruf ließ ihn herumfahren. Die Druidenschüler deuteten aufgeregt an den Waldrand und Thistle folgte ihren Blicken. Eine Gestalt brach aus dem Unterholz hervor. Sie war klein und zierlich, doch ein Blick in ihr Gesicht zeigte, dass es keine gute Idee wäre, sich mit ihr anzulegen. Thistle kannte sie und doch fürchtete er sie einen Moment lang. Mit langen Schritten überquerte er die Lichtung und schritt Dawn entgegen. Verwirrt bemerkte er ihren Zustand. Ihr Hemd war mit Blut besudelt, ihre Augen waren gerötet, ihr Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Als sie ihn sah leuchtete ihr Gesicht auf und sie wirkte wieder eher wie das junge Mädchen, das er kennen gelernt hatte. Er sah, dass sie dieses unsägliche Schwert an ihrer Seite baumelte und dass ihre Hand sich unwillkürlich um es schloss, als sie
Weitere Kostenlose Bücher