Die Lichtermagd
verlangte. Sie hatte in den letzten Stunden des Wartens nicht viel herunterbekommen. Es kam ihr zwar komisch vor, in Gegenwart des Königs zu essen, doch er bestand ja darauf … »Gerne, Herr.« Sie fischte sich mit den Fingern eine Feige aus dem Sud und biss herzhaft hinein. Ihr waren Honig und Gewürze beigegeben, und sie schmeckte köstlich.
Während sie kaute, schwieg der König wieder und erhob sich. Er stellte sich an das kleine Fenster, das einen weiten
Blick über die Stadt freigab. Draußen musste sich die Sonne dem Horizont nähern, denn es herrschte bereits Zwielicht.
Als Luzinde endlich den letzten Bissen geschluckt hatte und sich den Mund und die Hände in einer bereitgestellten Wasserschale wusch, sprach Karl mit dem Rücken zu ihr gewandt: »Du willst sicher hinunter in das Judenviertel und mit deinen Leuten den Schabbesabend feiern, nicht wahr?«
Luzinde durchfuhr es siedend heiß. War es schon wieder so weit? Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Und es fiel ihr schwer, sich daran zu gewöhnen, dass der heilige Tag im jüdischen Glauben am Freitagabend begann. »Ja«, meinte sie verwirrt, »ich meine – nicht jetzt. Ich kann mich auch später noch zu ihnen gesellen.«
Nun drehte Karl sich um. Seine Silhouette wurde vom grauroten Sonnenuntergang verdunkelt. Der König wirkte wie in einen See aus Blut getaucht. Sein Gesicht, nur beschienen vom Licht der Kerzen und Laternen, verzog sich zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Doch bevor er sprechen konnte, platzte jemand zur Tür herein. Es war Ulman Stromer.
»Mein Fürst! Was immer sie Euch gesagt hat, es ist eine Lüge!« Er beugte kurz Knie und Haupt. Hinter ihm eilten Götz Scheffein und Wenzel herein, bezeugten dem Herrscher die Ehre. »Vergebung, Herr«, bat der Ritter, »sie behaupteten, Ihr hättet nach ihnen geschickt.«
Ulman wies mit dem Finger anklagend auf Luzinde. »Ich wollte Euch erreichen, bevor etwas Schlimmes geschieht. Diese Frau lügt. Sie ist keine Jüdin.«
Karl hob die Hand, und die Männer verstummten. »Ich weiß.«
»Ihr wisst?«, fragte Luzinde überrascht.
»Allerdings. Irgendetwas an dir stimmte nicht.« Er trat näher und griff sich einen Kelch, den der Bedienstete sofort mit
Wein auffüllte. Der König nippte nur, bevor er fortfuhr: »Dein Benehmen ist nicht schlecht. Doch einer Prüfung hast du nicht standgehalten. Du nennst dich eine Jüdin und isst koscheres Essen. Gleichzeitig vergisst du den Spruch, mit dem die Juden ihre Mahlzeiten segnen.«
Luzinde schwieg.
»Dieser Segen geht Judenkindern in Fleisch und Blut über, sobald sie sprechen können. Und du hast keine Ahnung, dass heute nicht der Schabbesabend ist.« Er lächelte noch immer. »Kein gläubiger Jude würde vergessen, wann der Schabbesabend ist.« Erst nachdem er zu Ende gesprochen hatte, nahm er das Lächeln vom Gesicht. »Wer also bist du?«
Sie ließ den Kopf hängen. »Ich heiße Luzinde. Ich bin die Tochter eines Schreibers aus Lindelberg.«
»Und du bist eine Christin.«
»Seit meiner Geburt.« Luzinde klopfte das Herz im Leibe, und die Männer schwiegen. Draußen senkte sich Dunkelheit über die Königsstadt.
»Dann gibt es eigentlich nur noch eine Frage.« Karl wurde lauter. »Was bei allen Heiligen bringt eine christliche Schreiberstochter aus Lindelberg dazu, sich in Judengewänder zu hüllen und einen König zu belügen?«
Luzindes Kopf glühte, und sie suchte nach Worten. »Ich verdanke Gottschalk viel«, flüsterte sie schließlich. »Es sind gute Menschen. Und sie brauchten einen Fürsprech!« Sie warf sich auf die Knie. »Bitte, ich wollte Euch nicht belügen. Ich wusste nur nicht, wie ich’s am besten mache! Damit Ihr versteht, dass es hier um Menschenleben geht, die sich nur an Euch um Schutz wenden können! Ihr seid ein Mann aus ritterlichem Geblüt, Enkel eines Kaisers! Die Juden von Nürnberg verlangen nicht viel. Sie vertrauen nur darauf, dass Ihr ein gegebenes Wort haltet.«
Der Blick des Königs ruhte nachdenklich auf ihr. Er setzte sich. »Ihr habt die Moral natürlich auf Eurer Seite, Frau Luzinde.«
Luzinde schöpfte Hoffnung. Gab es doch noch eine Chance, dass Karl sich der Juden annahm?Wenn er schon zugab, dass sie Recht hatte, dass es das Richtige wäre, sie zu schützen, dann konnte er sich der Pflicht doch nicht mehr entziehen, oder?
»Das alles hat doch wenig mit Ritterlichkeit zu tun, Herr«, wagte Ulman einzuwerfen. »Hier geht es um das Überleben einer Reichsstadt! Und Nürnberg
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