Die Lichtermagd
tüchtigen Maulschelle zum Schweigen bringen konnte. Die Bettlerin – Luzinde war ihr Name gewesen – hatte ebenfalls gelitten. Doch sie hatte sich der Verzweiflung niemals ergeben. Und diese Charakterstärke fehlte Kungunt, und, gestand sich Caspar ein, als er vor dem Rathaus stand, vermutlich auch ihm selbst. Neben all ihren körperlichen Vorzügen war es diese Kraft gewesen, die Caspar hatte unkeusche Gedanken für die Bettlerin hegen lassen.
Caspar stierte am Rathaus vorbei hinunter zum Judenviertel. Es lag direkt nebenan, im Herzen der Stadt. Wie ein Geschwür nagte dieses Volk sich immer tiefer in die Stadt hinein. Es nahm sich das Geld, die Häuser, ja das Leben der Menschen, die hier wohnten, und musste sich nicht einmal vor dem städtischen Schultheiß oder dem Rat dafür verantworten, denn es unterstand ja dem König. Bis jetzt. Caspar zuckte zusammen, als von irgendwoher ein leiser Schrei kam. Die Lochgefängnisse lagen direkt unter dem Rathaus im weichen Gestein. Hier wurden die Geständnisse erzwungen. Dort würde bald auch Nathan von Grevenstein sitzen, um für die Verzweiflung zu bü ßen, die er über so viele Menschen gebracht hatte. Vielleicht war er ein Diener des Satans? Man konnte es nicht wissen. Diese
Gedanken vertrieb Caspar schnell. Solche Dinge konnten nur die Priester herausfinden. Doch ohne Anklage auch keine Untersuchung.
Also öffnete Caspar der Krämer die kleine hölzerne Tür zum Rathaus und ging hinein. Bald wäre alles gut. Und vielleicht würde er auch eines Tages wieder lachen können. Nach nichts sehnte er sich so sehr wie danach, endlich wieder für einen kleinen Augenblick ohne Sorgen in die Zukunft blicken zu können.
KAPITEL 21
Knapp zwei Tage wartete Luzinde nun schon auf dem Hradschin. Als Wenzel sie endlich aus ihrem einfachen Quartier in der Nähe der Stallungen hinauf in das Prager Königsschloss führte, tobten die Gefühle in ihr. Der Abend des fünfzehnten Novembertages kündigte sich mit langen Schatten an. Luzinde kam die Zeit seit dem Aufbruch aus Nürnberg länger als elf Tage vor. Die letzten beiden Nächte hatte sie in ihrer Aufregung kaum geschlafen – obwohl sie von Kälte und Anstrengung entkräftet war. Nun war sie froh, dass das Warten ein Ende hatte.
Sie durchquerten einen Burghof, um in einen zweiten zu treten, in dem die eine Seite völlig von einem durch ein Baugerüst gerahmten Kirchbau eingenommen wurde. Auf der anderen befand sich der alte Königspalast. Im Innern des Gebäudes schritten sie durch mit kostbaren Gobelins geschmückte Kammern, bevor sie schließlich in einer innehielten. Vor einer Tür standen zwei Wachen. Wenzel wechselte einige Worte in der Landessprache mit ihnen. Bruder Ambrosius’ Name tauchte in dem Gespräch auf. Einer der Männer lief in Richtung der Stallung, ein zweiter verschwand im Innern.
Luzinde sah an sich herunter auf das von der Reise abgenutzte, vielfach geflickte und teilweise mit Stroh gespickte Gewand, das selbst sauber und intakt viel zu schlicht für diese Umgebung gewesen wäre. Ihr ungewaschenes Haar hing ihr strähnig ins Gesicht, und selbst einige hastige Versuche, ein wenig Ordnung und Sauberkeit in ihr Äußeres zu bringen, fruchteten nur wenig. Als sie sah, dass Wenzel sie beobachtete,
lächelte sie entschuldigend. »Ich sehe aus wie eine Bettlerin.«
Wenzel schüttelte den Kopf. »Du musst dich deines Äußeren nicht schämen.« Luzinde lächelte dankbar. Trotzdem war ihr mulmig zumute. All der Prunk zeigte ihr auf, aus welch ärmlichen Verhältnissen sie kam. Bald ging dieTür auf, und die Wache rief sie herein.
Wie stellte man sich einen Raum vor, in dem ein König Bittsteller empfängt? Luzinde wähnte eine große Halle mit bestem Holzboden vor sich, wie in der Kaiserburg, oder einen hellen Steinfußboden aus großen Sandsteinplatten, wie in mancher Kirche. An den Wänden stellte sie sich von Königinnenhand geknüpfte Wandteppiche vor, beleuchtet von mehrarmigen Kerzenleuchtern aus Gold, oder kunstvoll bemalte Wände, die sich dem Blick in der dunklen Höhe der Halle entzogen. Weiche Orientteppiche musste es geben, Heerscharen von Mägden und Knechten und gepanzerte Ritter, die ihren Herrn bewachten.
Der Kontrast zu ihrer Vorstellung hätte nicht größer sein können. Die Kammer war erstaunlich klein und bis über Kopfhöhe vollständig mit Holz getäfelt. Die kleinen Fenster in der tiefen Mauer ließen nur wenig Licht herein. Zusammen mit dem dunklen Holz sorgte das für eine gedrückte
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