Die Lichtermagd
Atmosphäre, der man mit Kerzenleuchtern und Laternen entgegenzuwirken versuchte. In der Mitte des Raumes stand ein ebenfalls dunkler Tisch, an dem Stühle mit Lehnen aus geschnitztem Maßwerk standen. Einer davon besaß von der Form her Ähnlichkeit mit einem Thron. Man hatte versucht, ihn mit Kissen bequemer zu gestalten. Auf dem Tisch standen ein Krug aus grünlichem Glas und einige silberne Kelche, dahinter ein einzelner Leibknecht in samtener Tunika. Luzinde fühlte sich beinahe betrogen. Sicher, sie selbst könnte sich nicht einmal den
Glaskrug leisten. Doch dies wirkte nicht wie die repräsentative Halle des höchsten Herrschers ihrer Zeit.
An den König erinnerte sie sich vage, wie er damals in Nürnberg unter dem Baldachin an ihr vorbeigeritten war. Hätte sie nicht gewusst, dass es derselbe Mann war, sie hätte ihn kaum wiedererkannt.War er in Nürnberg noch mit Prunk und Pracht für seinen Einzug in die Stadt umgeben gewesen, wirkte er hier nun beinahe schlicht. Der ernste Eindruck, den er bei ihrer damaligen Begegnung auf sie gemacht hatte, hing noch immer um seine Augen. Er war klein, kleiner, als Luzinde gedacht hatte, und hätte, wie er da in seiner juwelengeschmückten Tunika in seine Dokumente vertieft saß, auch einer der reichen Hofministerialen sein können, denen sie gestern begegnet war. Sie hatte sich ausgemalt, dass er ein wenig wie Wenzel sein würde – aufrecht, entschlossen, herrscherlich. Der Mann, der dort am Tisch saß, wirkte eher in sich gekehrt, ja beinahe geduckt.
Der Herrscher sah nun von seinen Dokumenten auf und musterte sie. Wieder fror sie beinahe unter einem Blick, von dem sie sich abgeschätzt fühlte. Doch als der König ihr in die Augen sah, da schrak er in einer kaum wahrnehmbaren Reaktion zusammen – wie damals, als er sie in Nürnberg erblickt hatte. Er legte das Pergament aus der Hand, in dem er gelesen hatte, und widmete Luzinde seine Aufmerksamkeit. Der Gedanke, dass ihr der bedeutendste Herrscher der bekannten Welt zuhörte, ließ sie innerlich schrumpfen, obwohl sie von seinem Äußeren geradezu enttäuscht war.
»Du sprichst für die Juden von Nürnberg?«, fragte er leise. Seine Stimme war flach, aber nicht desinteressiert. Sein Akzent bot eine Mischung aus weichen sch-Lauten und Nasalen, wie man sie im Land der Frankenkönige sprach, und den harten Konsonanten der Böhmen.
»Ja, Herr«, erwiderte Luzinde fast unhörbar, und zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sie keine Ahnung hatte, wie man einen König eigentlich ansprach. Sie fiel vorsichtshalber auf die Knie.
»Steh auf. Und du kannst ruhig lauter sprechen«, erwiderte Karl. Auch er sprach leise, doch bei ihm hörte man genau zu.
»Ja, Herr«, sagte sie lauter und erhob sich wieder.
Eine Pause entstand. »Habe ich dich nicht auf dem Platz vor Sankt Laurentius in Nürnberg gesehen?«, fragte der König dann.
»Ja, Herr.« Wie kam es, dass auch er sich an sie erinnerte – eine beliebige Frau aus der Menge?
»Merkwürdig. Ich hätte nicht gedacht …«, er verstummte, doch sein Blick huschte zu ihrem notdürftig geflickten schilffarbenen Gewand. Luzinde ahnte nicht, wie der Satz hätte enden sollen. Doch der König besaß ein Gespür für Menschen, das merkte sie. Besser vielleicht gar als der alte Gottschalk.
»Was also willst du vortragen, Jüdin?«
Luzinde wurde heiß und kalt. Sie hatte den Judenschleier abgelegt, den sie auf der Reise getragen hatte. Sie musste sich nicht mehr verkleiden, seit Gottschalk tot war.Trotzdem hielt Karl sie für eine Jüdin. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie sich hätte überlegen sollen, wie sie sich präsentieren wollte. Was hätte das größere Gewicht – die Jüdin, die für ihr Volk sprach, oder die Christin, die für die Juden sprach? In jedem Fall musste sie den König jetzt korrigieren oder schweigen.
»Ich -« Luzinde stockte, ihr Gaumen war trocken. »Ich bin hier anstelle des Herrn Gottschalk von dem Steyne.«
»Gottschalk«, nickte Karl. Der Name schien ihm bekannt zu sein. »Warum ist er nicht selbst gekommen?«
»Er ist tot, Herr.«
Der König runzelte die Stirn. »Wie das? Und wann?«
»Erst vor ein paar Tagen, Herr. Er wurde auf dem Weg zu Euch in Pilsen von drei Männern erschlagen«, Luzinde unterdrückte das Bedürfnis, sich zu bekreuzigen.
Karl hingegen führte die Geste aus, und eine steile Zornesfalte erschien zwischen seinen Brauen. »Die Juden dieses Landes stehen unter meinem Schutz.Wie wagt es dajemand, Hand an sie zu legen?« Er
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