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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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gelben Flicken auf dem Gewand, den Luzinde schon bei dem Bettler an der Augustinermauer gesehen hatte. Doch sie dachte sich nichts dabei.
    Erstaunt stellte Luzinde fest, dass Nürnberg früh erwachte. Von einem Schlag auf den anderen waren schrecklich viele Menschen unterwegs. Luzinde konnte keinen Vergleich anstellen, doch die Bettler um sie herum stellten zufrieden fest, dass »das fette Weib Nürnberg mal wieder aus allen Nähten platzt!«. Ein anderer wies mit dem Kinn auf Luzinde und grunzte als Antwort: »Oh ja, und die fremden Geyler lauern darauf, uns die Almosen wegzunehmen! Die da kann ihr Auskommen immerhin in der Grätsche verdienen!« Luzinde wusste nicht genau, was ein Geyler war, doch da sie gemeint war, handelte es sich dabei vermutlich um andere Bettler. Sie fürchtete schon, dass man sie wieder mit Steinen verjagen würde, doch die Bettler beließen es bei den Drohungen.
    Die Bedeutung der gelben Flicken wurde ihr gegen Mittag deutlich, als ein junger Chorschüler ihrer ansichtig wurde. »Du hast keinen Flicken auf dem Gewand. Bist fremd, wie?«, fuhr er Luzinde an. Diese nickte vorsichtig. »Hast du Familie hier?«
    »Nein, junger Herr.«
    »Freunde?«
    »Nein.«
    »Kennt dich denn gar niemand hier?«
    »Nein, Herr.«

    »Das heißt, es kann auch niemand bezeugen, dass du der Almosen bedürftig bist? Wie lange bist du denn schon hier?«
    »Den dritten Tag, junger Herr.«
    »Dann mach, dass du weg kommst. Fremde dürfen hier nur drei Tage betteln, und wenn niemand für dich Zeugnis ablegt, dann kannst du auch nicht bleiben.«
    »Zeugnis …«, wiederholte Luzinde erstaunt. »Aber Ihr seht doch, ich habe nichts, nicht einmal zu essen, und -«
    »Das tut nichts zur Sache, Frau. Du bist jung und kräftig und kannst arbeiten. Also mach dich auf, such dir Arbeit!«
    »Aber ich habe -«, doch der Chorschüler hörte nicht mehr zu. Er drängte sich durch die Menge der Bettler und verteilte hier und da einen Pfennig, dann kehrte er mit einem letzten warnenden Blick auf Luzinde ins Hospital zurück.
    »Mach besser, dass du weg kommst«, hustete eine alte stinkende Bettlerin, die eines der gelben Flickenstücke am Gewand trug. »Sonst sperren sie dich noch ins Loch unterm Rathaus oder prügeln dich aus der Stadt. Sind zu viele Fremde hier. Können nicht alle vom Betteln leben.«
    Dankbar für diese Warnung nahm Luzinde ihr Bündel und verließ den Platz vor dem Spital. Wieder irrte sie durch die Gassen. Schließlich ließ sie sich an der Straße hinauf zur Burg völlig erschöpft nieder. Sie suchte sich den etwas zurückgesetzten Winkel zweier Gebäude schräg gegenüber vom Dominikanerkloster aus, in dem sie sich hinter den Marktständen halbwegs verborgen hoffte. Da der Markt entlang einer schmalen Gasse verlief, erstreckte er sich über deren ganze Länge und war erst hier oben, am Hang, allmählich zu Ende. Einige Handwerker hatten auf den schrägen Tischen kleiner Buden ihre Ware ausgebreitet – hauptsächlich wohlhabende Krämer und Drahtschmiede. Die Magd wollte hier nur einen kleinen Augenblick ruhen, wollte darüber nachdenken,
wie es nun weitergehen sollte mit ihr. Der Blick eines Krämers mit braunem Bart über einem schmalen Kinn folgte ihr kurz. Er fürchtete wohl, dass sie es auf seine Auslage abgesehen hatte. Doch der Blick verhehlte sein Interesse an ihr nur schlecht.
    In der Hausecke war Luzinde hoffentlich auch erst einmal vor der Aufmerksamkeit der Marktbüttel sicher. Sie nahm den letzten Schluck aus ihrem Bierschlauch, zog die dreckigen Beine an und legte den Kopf auf die Knie. Müdigkeit und Verzweiflung krochen ihr in den Sinn, und sie begann stumm zu weinen. »Oh Gott«, flüsterte sie. »Was soll ich nur machen?« Vielleicht sollte sie in der Nacht in die Pegnitz gehen.
    Man sagte, der Tod durch die Kälte wäre ein sanfter. Doch sterben von eigener Hand? Mit dem Makel, den sie auf der Seele trug? In einer Stadt, die vom Papst verdammt worden war? Jeder einzelne dieser Umstände ließ Luzinde um ihr Seelenheil fürchten. Alle zusammen aber mussten direkt in die Hölle führen.
    Nein, sagte sie sich, sie war bloß müde. Sie sollte vielleicht ein wenig schlafen, um zu neuen Kräften zu kommen. Ihre Augenlider waren schwer und fielen immer wieder zu. Doch Luzinde riss sich zusammen.Wenn bereits die Chorschüler darauf achteten, dass fremde Bettler die örtlichen nicht vertrieben, dann würde es sicherlich auch eine Art Bettelvogt geben, der sie mit Prügel aus der Stadt jagen würde,

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