Die Lichtermagd
die Knie, die Hand auf dem Bauch liegend, in dem das verdammende Leben in ihr wuchs. »Oh Gott«, flüsterte sie mit bebender Lippe. »Was soll ich nur tun?«
Plötzlich und schmerzhaft verkrampfte sich ihr Bauch unter der Hand, als läge sie bereits in den Geburtswehen.
Der Tritt hatte Luzinde in den Bauch getroffen und unsanft aus dem Schlaf geweckt. Sie rutschte vor Schmerz stöhnend zur Mauer zurück und rollte sich zusammen, so dass der zweite Tritt gegen ihren Arm ging.
»Mach dass de wech kommst, verdammte Hübscherin«,
hörte sie eine nuschelnde Stimme, die sich vor Aufregung überschlug. Über ihr stand eine gekrümmte Gestalt mit ungepflegtem Bart und zotteligem Haar, die nur Lumpen am Leibe trug. Auf der Brust saß ein schmutziger gelber Flicken. »Wech! Sonst nehm ich dein Fleisch als Pacht für den Fleck, Hurenweib!«
Hastig sprang Luzinde auf und brachte ausreichend Abstand zwischen sich und den Bettler. »Ich bin keine Hure«, stieß sie hervor, vor Müdigkeit und Kälte zitternd. Der Morgendunst aus dem sumpfigen Pegnitzufer hing bereits klamm in ihren Kleidern. Sie musste bis in die frühen Morgenstunden geschlafen haben. Als der zottelige Kerl Steine aufsammelte, um sie zu verjagen, schnappte Luzinde sich ihren Beutel und humpelte, den Arm auf den Leib gepresst, schnell davon, um nicht noch mehr Schläge einzustecken.
Schmerz und Müdigkeit steckten ihr noch in den Gliedern. Mehr noch bedrückte sie aber die im Traum wieder aufgetauchte Erinnerung. Daran, wie ihre Eltern sie verstoßen hatten, sobald man ihre Schwangerschaft hatte sehen können.Wir sind anständige Leute, hatte der Vater geschimpft. Wir ehren den Herrn Jesus Christus und treten ihn und seine Worte nicht mit Füßen! Doch insgeheim glaubte Luzinde, dass er nicht ertragen hätte, wenn die Lindelberger ihn mit derselben Abscheu und Verachtung ansahen, die sie ihr entgegenbrachten. Pater Marcus hatte sie von den Sakramenten ausgeschlossen und ihr die Kirche verboten. Erst, als sie ihm unter Weinen und Flehen den Namen des Vaters ihres Ungeborenen genannt hatte, hatte er ihr das Abendmahl abseits von Messe und Kirche erteilt. Diese Wahrheit hatte immerhin die Eltern Konrads, die Großbauern Berainer, dazu gezwungen, ihr während der Schwangerschaft eine Kate zur Verfügung zu stellen. Dort hatte man sie in Ruhe leben lassen. Doch wann immer sie ausgegangen
war, hatte sie den Hurenschleier tragen müssen, und die Leute aus Lindelberg hatten sie gemieden, als hätte sie den Aussatz. Einsamkeit und Angst hatten sie bereits viele Monate vor der Geburt beinahe zugrunde gehen lassen. Bis sie zum ersten Mal eine Bewegung des Kindes in ihrem Leibe spürte.
Noch heute lief Luzinde ein Schauer über den Rücken, wenn sie daran zurückdachte. Plötzlich war sie nicht mehr allein gewesen. Von einem Augenblick auf den anderen hatte sie etwas erhalten, für das es sich zu leben lohnte. Dieses kleine Würmchen in ihrem Leib hatte sie damals davor bewahrt, ganz in ihrer Verzweiflung zu versinken.
Und dasselbe tat die Erinnerung daran jetzt auch wieder. Luzinde erinnerte sich an den Schmerz der Geburt, die Welle von Freude, Erleichterung und Angst. Angst davor, dass dem Kind nun, da sie es nicht mehr in sich trug, Schreckliches widerfahren könnte, dass sie es nicht mehr schützen, nicht ernähren könnte. Sie hörte wieder den ersten Schrei, mit dem es nach Luft rang. Eine Träne rollte Luzinde bei dieser Erinnerung die Wange herab, und sie griff nach dem Amulett der heiligen Luzia und drückte es so fest, dass sich die Kanten in ihre Handfläche einschnitten. Die Nacht lag lange Jahre zurück, und doch vermisste sie das Kind so sehr, als wäre es erst gestern geboren worden.
Ihres Schlafplatzes beraubt, lief Luzinde den Rest der Nacht halb besinnungslos vor Müdigkeit durch die Gassen. Sie presste ihre Kleider frierend an den Leib, stets auf der Flucht vor den Turmwächtern, die die Bettler von den Straßen vertrieben. Irgendwann begann die Sonne die dunstigen Straßen Nürnbergs zu wärmen, und Luzinde begrüßte sie dankbar.Viel länger hätte sie die Dunkelheit ihres Gemüts und die Kälte nicht ertragen können.
Als das Leben in der Stadt zu erwachen begann, setzte Luzinde sich müde vor das Heiligen-Geist-Spital und bettelte um Almosen. Natürlich waren die besten Bettelstellen bereits an alteingesessene Bettler vergeben, die hier auch schliefen und jeden mit Prügel bedachten, der ihnen in die Quere kam. Sie trugen ebenfalls den
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