Die Lichtermagd
Kinn gen Westen. »Auf der anderen Seite haben sie sich Häuser fast bis zum Kloster der Dominikaner gekauft. Und wenn’s nach ihnen geht, dann raffen sie immer mehr an sich. Kein Wunder, bei dem Wucher, den sie nehmen.«
»Das sind viele«, staunte Luzinde. »Warum duldet der Rat sie denn bloß?«
»Sie gehören halt der Kammer des Königs an«, der Krämer verzog das Gesicht. »Und sie verleihen Geld.Anständige Christen wissen, dass das in die Hölle führt. Bei den Juden ist’s eh zu spät, schätze ich.«
»Ja, aber – wer leiht denn Geld von einem Juden?«
»Mädchen«, der Krämer schnitt eine Grimasse, »ich hab’s auch schon getan. Wenn du Weib und Kinder ernähren musst, dann setzt du auch dein Seelenheil aufs Spiel.«
»Und der Wucherzins?« Luzinde hatte davon gehört, die Juden würden die Christen oft so sehr schröpfen, dass sie Haus und Hof verloren.
»Zwei Pfennig pro Woche vom Pfund Haller«, seufzte der Krämersmann. »Und das ist nur für Einheimische! Fremde zahlen drei. Du kannst dir vermutlich nicht vorstellen, wie viel das ist, Mädchen -«
»Luzinde«, unterbrach die Magd ihn. Sie mochte den redseligen Mann, der sich an ihrem lumpigen Äußeren nicht zu stören schien. Sie legte den Kopf schief und grübelte. »Doch, ich weiß ungefähr, wie viel das ist, ich kann ein wenig rechnen. Ein rechter Christenherr nimmt nur den Zehnten. Und die Juden dürfen … drei bis vier Mal so viel schröpfen?«
»Gott weiß, warum.« Der Krämer strich sich seinen langen braunen Bart und lächelte dann. »Du hast das Herz auf dem rechten Fleck, Luzinde. Ich bin Caspar, ich wohne dort oben, beim Brunnengässlein«, er deutete mit dem Daumen hinter das Dominikanerkloster.
Die Magd spürte einen Hauch Hoffnung aufkeimen. »Hast du einen Schuppen, Caspar, in dem ein armes Weib einen trockenen Schlafplatz hat? Ich kann auch arbeiten, ich -«
»Nein«, stieß der Krämer schnell aus. »Es tut mir leid – du bist nicht mal eine ordentliche Bettlerin. Ich hätt dir nicht einmal das Geld geben dürfen. Und meine Frau, die Kungunt -«, er wurde rot. »Nein, ich kann nicht.«
Luzinde nickte betrübt. Caspar schien ein anständiger Kerl zu sein. Doch er begehrte sie. Daher konnte er sie nicht um sich dulden. Vielleicht hätte sie dort immerhin eine Stelle, wo sie heimlich immer mal einen Kanten Brot bekommen konnte, so dass sie nicht verhungern musste.
»Trotzdem – es ist gut, dass du das Judengeld nicht genommen hast. Gott wird’s dir lohnen.« Damit machte Caspar sich auf, zurück in seine Bude, um darin lautstark herumzuräumen.
Luzinde nickte. Juden waren unbekehrbar und brachten ihrem Gott Christenkinder auf dem Altar dar, erzählte man sich. »Hab Dank.« Als sie ihre Sachen nahm und die Ecke verließ, da schmerzte ihr Bauch vor Hunger. Sie hoffte, dass Gottes Lohn für diese Tat bald käme, denn sonst wäre es vielleicht
zu spät. Doch wenn anständige Bürgersleut sich nicht schämten, von den Juden Geld zu nehmen – warum sollte sie sich dann zieren?
Doch Gottes Lohn kam nicht, und nachdem der Pfennig ausgegeben und das Stück Brot gegessen war, verbrachte Luzinde eine unruhige Nacht in einer kleinen Gasse hinter dem Roten Ross, einem Gasthaus, aus dem es verführerisch duftete. Der Hunger fraß sich auch am nächsten Morgen in ihre Eingeweide, und nach dem fruchtlosen Durchstöbern der Abfälle, die vom Gasthaus auf die Straße gekippt worden waren, verbrachte sie den Tag damit, trotz derWarnung des Chorschülers wieder um Almosen zu betteln. Nachdem sie zwei Mal von einem narbengesichtigen Turmwächter aus der Stadt geprügelt worden war, verhielt sie sich vorsichtiger. Sie hielt Ausschau und konnte sich beim dritten Mal rechtzeitig vor dem Kerl aus dem Staub machen. Sie würde anderswo die Hand aufhalten müssen. Immerhin hatte sie am Nachmittag genug zusammen, um sich etwas Haferspeise und einen Krug Bier zu kaufen.
Am Abend schließlich, als die Kirchgänger von Sankt Sebaldus aus der Messe kamen, drängten sich die Bettler auf der kleinen Terrasse vor dem Eingang. Nach der Kirche verteilten die wohlhabenderen Leute stets Almosen, denn Mildtätigkeit war eine Christenpflicht. In dem um Aufmerksamkeit heischenden Pulk versuchte Luzinde mit ihrem »Herr! Gott vergelt’s!« herauszustechen und errang immerhin einen Pfennig. Als sie ihn schnell einsteckte, sah sie, dass die Hand, die ihn ihr gereicht hatte, keine Männerhand, sondern die einer Frau war. »Dir geht es also noch
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